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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Skala zwischen INTERNATIONAL und SPECIAL SERVICE. »Hier unten steht Chicago«, murmelte er zu sich selbst.
    Aus dem Innern des Geräts ertönte ein Summen, als würden sich die Röhren erwärmen, dann Statikrauschen, als Duane die Skala verstellte. Kurze Baritonsalven wurden ebenso abgewürgt, wie Sprecher mitten im Satz abgeschnitten wurden, Bruchstücke Rock and Roll explodierten und verstummten, Statik, Knistern, ein Ballspiel -die White Sox von Chicago!
    »Er läuft zurück! Zurück! Zurück zur rechten Spielfeldbegrenzung des Comiskey Park! Er springt daran hoch! Er klettert die Mauer hinauf! Er ... «
    »Ach, das ist nichts«, murmelte Duane. »Ich versuch' das Internationale Band. Dum-da-di ... da haben wir ... Berlin.«
    »Ach du lieber der fershtugginer ball is op und outta hier!« sagte Harlens Stimme, der augenblicklich vom aufgeregten Chicagoer Dizzy-Deanischen Dröhnen zu einer teutonischen, kehligen Aneinanderreihung von Silben wechselte. »Der Führer ist nicht gehappy. Nein! Nein! Er ist gerflugt und vertunken und der veilige pistoffen!«
    »Auch nichts«, murmelte Duane. »Ich versuch's mit Paris.«
    Aber das schrille nachgeahmte Französisch hinter dem Schrank ging im Kichern und Gelächter im Hühnerhaus unter. Mike O'Rourkes letzter Schuß mit dem Gummiband ging fehl, und der Weberknecht entkam in einen Spalt im Dach. Dale schleppte sich zum Radio und war bereit, selbst ein paar Sender zu versuchen, während sich Lawrence auf dem Boden wälzte. Kevin verschränkte die Arme und schürzte die Lippen, während Mike ihn mit den Turnschuhen in die Rippen stieß.
    Der Bann war gebrochen. Die Jungs konnten machen, was sie wollten.
    Stunden später, nach dem Essen, im langen, schmerzlich lieblichen Dämmerlicht des Sommerabends, kamen Dale, Lawrence, Kevin und Harlen schlitternd mit ihren Fahrrädern an einer Ecke in der Nähe von Mikes Haus zum Stillstand. »Ee-aw-kee!« rief Lawrence.
    »Kee-aw-ee!« kam die brüllende Antwort aus den Schatten unter den Ulmen, und Mike kam ihnen entgegengefahren, ließ den Hinterreifen im lockeren Kies abschmieren und drehte sich so herum, daß er in dieselbe Richtung wie die anderen sah.
    Das war die Fahrradpatrouille, die die fünf Jungs vor zwei Jahren gegründet hatten, als die ältesten in der vierten Klasse und die jüngsten noch so klein waren, daß sie an den Weihnachtsmann glaubten. Sie nannten sich heute nicht mehr Fahrradpatrouille, weil ihnen die Bedeutung des Namens aufgegangen war und sie zu alt waren, noch so zu tun, als würden sie Elm Haven patrouillieren, um Menschen in Not zu helfen und die Unschuldigen vor Bösewichtern zu beschützen, aber sie glaubten noch an die Fahrradpatrouille. Glaubten mit der simplen Hingabe an die Realität des jetzt daran, die sie einst veranlaßt hatte, mit rasendem Puls und trockenem Mund am Weihnachtsabend wach zu bleiben.
    Sie verweilten einen Augenblick lang auf der stillen Straße. Die First Avenue verlief an Mikes Haus vorbei aufs Land, eine Viertelmeile nach Norden, bis zum Wasserturm und dann nach Osten, bis sie im abendlichen Dunst über den Feldern am Horizont verschwand, wo außer Sicht der Wald und Gypsy Lane und die Black Tree Tavern warteten.
    Der Himmel war ein matt polierter grauer Schild, der in der Stunde zwischen Sonnenuntergang und Dunkelheit allmählich verblaßte, der Mais auf den Feldern war noch jung und reichte einem Elfjährigen nicht mal bis ans Knie. Dale sah über die Felder, die sich bis zu einem von der Entfernung weichgezeichneten Horizont mit Bäumen nach Osten erstreckten, und stellte sich Peoria dort vor - achtunddreißig Meilen jenseits der Hügel und Täler und Wälder, in einem Flußtal gelegen, tausend Lichter in der Dunkelheit -, aber man sah kein Leuchten, lediglich den zunehmend dunkleren Horizont, und er konnte sich die Stadt eigentlich gar nicht vorstellen. Statt dessen hörte er das leise Rascheln und Flüstern des Mais. Es wehte kein Wind. Vielleicht war es das Geräusch des Wachstums, das der Mais von sich gab, während er zu der Mauer wurde, die Elm Haven bald ganz umgeben und von der Welt abriegeln würde.
    »Kommt«, sagte Mike leise, trat in die Pedale, beugte sich weit über die Lenkstange nach vorne und fuhr in einem Kieselregen an.
    Dale und Lawrence und Kevin und Harlen folgten ihm.
    Sie fuhren im schwachen grauen Licht die First Avenue hinab nach Süden, sausten unter den Schatten der Ulmen dahin und kamen bald im offenen Dämmerlicht heraus. Die flachen Felder lagen

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