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Sommer in Ephesos

Sommer in Ephesos

Titel: Sommer in Ephesos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Schmidauer
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für ein Taxi, das nahm ich und fuhr mit der Straßenbahn nach Hause.
    Wenn er von Ephesos erzählte, das tat er immer noch, hätte ich mir gerne die Fäuste in die Ohren gestopft. Ephesos gab es nicht mehr, nicht für mich, und ich wollte vergessen, was mir die weiße Stadt gewesen war.

    Das Bestattungsinstitut, das mein Vater beauftragt hat, heißt Elysium. Elysium, höre ich die Stimme meines Vaters, die Insel der Seligen, ein Ort oder Zustand vollkommener Glückseligkeit. In der griechischen Mythologie, sagte der Vater, ist es der Ort, an den die antiken Helden, die Außerordentliches geleistet haben, entrückt werden, ohne dass sie den Tod erleiden.
    Er schrieb mir das Wort auf: ελύσιον, und ich buchstabierte: E-l-y-s-i-o-n.
    Nach Vergil, sagte mein Vater, herrscht dort der ewige Frühling, dort scheint eine eigene Sonne und die Sterne, die die Nacht erhellen, sind nicht von dieser Welt. Es war ja die Geograpfie, sagte er und ich kicherte, die Geograpfie, wiederholte er mit fester Stimme und ohne eine Miene zu verziehen, die Geograpfie der antiken Unterwelt eine wesentlich vielfältigere und interessantere als die christliche Vorstellung vom Jenseits. Himmel, Hölle, Fegefeuer, eventuell noch der Limbus, aber wer kennt den heute noch?
    Wir schüttelten besorgt die Köpfe.
    Erzähl, sagte ich, erzähl von der Unterwelt.
    Mein Vater sprang auf. Warte, sagte er. Wenn er sagte, warte, dann war ihm etwas eingefallen, dann musste er etwas suchen, das er mir zeigen wollte. Hades kennst du, sagte er.
    Ich nickte, der grässliche Herrscher der Unterwelt.
    Er schlug verschiedene Bücher vor mir auf. Hades, der Persephone raubte, die Büste eines bärtigen Mannes mit wild gelocktem Haupthaar, über die nackte Schulter ein schwarzes Tuch geworfen, Hades und Persephone, lächelnd auf einem Thron, mit Früchten und Weizengarben in den Händen.
    Siehst du, sagte der Vater, er ist nicht nur grässlich. Mit Persephone an seiner Seite ist er nicht nur grässlich.
    Die Unterwelt also, sagte mein Vater und blätterte in den Bänden, das schaurige, öde Reich des Hades schließt den Tartarus ein, das ist die tiefste Region, in die die Frevler gestoßen werden, die Verdammten, die hier ewige Qualen erleiden. Der Tartarus, die asphodelischen Felder, die elysischen Gefilde.
    In meinem Kopf explodierten Farben und Klänge. Asphodelische Felder, sagte ich, wie sehen die aus?
    Dort wachsen Blumen, sagte der Vater, bleiche, blasse Blumen mit violetten Blättern. Davon ernähren sich die Seelen, die dort leben. Auf den asphodelischen Feldern leben, wenn man das noch so nennen kann, die, die weder im Guten noch im Bösen Besonderes geleistet haben.
    Ist das gut, fragte ich, ist es dort gut?
    Mein Vater wiegte den Kopf. Was denkst du, fragte er, und ich wusste nicht, was es hieß, im Guten oder im Bösen etwas Besonderes zu leisten.
    Der Eingang zum Totenreich, sagte mein Vater schließlich, ist eine Kluft, die sich am Ende der Welt am Ufer des Okeanos befindet, im Land der Kimmerier, im Hain der Persephone, wo Pappeln und Erlen und Weiden wachsen.
    Ich mag Pappeln, sagte ich. Und Erlen. Und Weiden.
    Mein Vater lächelte. Ja, sagte er. Ich auch.
    Seine Augen, sah ich, hatten die Farbe der Pappeln im Frühling. Wenn dort Pappeln wachsen, dachte ich, ist es gut.
    Es gibt fünf Flüsse, sagte mein Vater und schlug ein anderes Buch auf. Den Styx kennst du? Er umfließt die Unterwelt neun Mal und ist die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich. Er schlug ein Bild auf, das zeigte Charon in einem Boot, wie er durch einen Fluss voller Leiber fuhr, mich schauderte, ein Fluss voller Leiber, die sich übereinander wälzten, im Untergehen sich an anderen Leibern festhielten, andere in die Fluten drückten, um selbst nicht unterzugehen, nimm uns mit, hörte ich sie flehen, ein Fluss voller Leiber, nimm uns mit, Arme, die sich nach dem Boot ausstreckten, Köpfe, die sich aus den Fluten erhoben, der Fährmann stieß sie erbarmungslos mit seinem Ruder zurück und etwas knirschte, als er auf ihre Arme und Beine, ihre Köpfe schlug, knirschte und hallte dumpf, und zwei standen aufrecht im Nachen, nur zwei, groß und aufrecht im Nachen.
    Dann ist da noch der Acheron, sagte mein Vater, an dessen Mündung steht ein Totenorakel, dann der Kokytos, der Fluss des Wehklagens.
    Kokytos, wiederholte ich, Fluss des Wehklagens.
    Wenn die Verstorbenen aus diesem Fluss trinken, sagte mein Vater, erkennen sie, dass sie ihr Leben in der Oberwelt

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