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Sommer in Ephesos

Sommer in Ephesos

Titel: Sommer in Ephesos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Schmidauer
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des Vaters gegeben, seine privaten Grabungsbücher, über fünfzig Quartbände, schwarzer, roter oder grüner Karton, unlinierte Blätter, die Arbeit von vierzig Jahren. Die Originale sollen im Grabungshaus sein, hat er verfügt. Wenn meine Tochter sie einsehen will, das hat er mir geschrieben, sagt Ingrid, sie gehören auch ihr.
    Wenn ich nicht mehr reden will, im Speisesaal, auf der Veranda, unter der Tamariske, gehe ich in die Bibliothek. Ich sitze am Schreibtisch, hinter mir die weißen Glasschränke. Ich schlage die Tagebücher des Vaters auf, es tröstet mich, seine gleichmäßige Schrift zu sehen. Manchmal ist es, als hörte ich, was er schreibt.
    Fast täglich lese ich, wie der Vater, vierzig Jahre lang, nüchtern die Arbeit kommentiert hat. Grabungsfortschritte, Rückschläge, Diskussionen, nur selten gestattet er sich Bemerkungen zu Kollegen, nur selten streift er Persönliches. Schlimmer Husten, steht einmal, Fieber, ans Bett gefesselt für drei Tage. Amouröse Verwirrungen im Jungvolk, schreibt er, Kommissar in Aufregung, ernstes Wort gesprochen. Arbeitsplatz, nicht Vergnügungsort, drei Rufzeichen. Große Erschütterung, das bezieht sich auf einen Fund, dass Alfons das nicht mehr erlebt hat. Schwieriges Weggehen von Wien, schreibt er einmal, ich schaue auf das Datum, da hat er die Mutter schon gekannt. E. nicht erreicht, mit E. telefoniert, E. nach London?
    Als er begonnen hat, 1956, 13. Juli, dass ich hier sein darf, schreibt er, kein Schlaf. Da war er dreiundzwanzig, das war sein erster Tag, der allererste Tag in Ephesos. Ich muss an Hubert denken und sein erstes Jahr. Als ob es von Bedeutung wäre, was der Vater an meinem Geburtstag gedacht hat, getan hat, lange bevor er einen Gedanken an mich hatte, suche ich, was unter dem 2. August steht, 2. August 1956, 2. August 1964, 2. August 1972.
    In dem Jahr, in dem ich auf die Welt gekommen bin, ist er Anfang Juni im Grabungshaus angekommen, ich muss doch, schreibt er, meine Arbeit tun. Dass die Mutter liegen musste, denke ich, weil ich zu früh gekommen wäre. Abreise, notiert er, das Kind kommt, schreibt er und ich suche in seiner Schrift, ob er eine Freude hatte oder eine Angst. Im Jahr darauf ist er wieder hier gewesen, das Kind, schreibt er an meinem Geburtstag, das Kind hat ins Telefon gegurgelt.
    Rückkehr nach drei Jahren, so beginnt er die Eintragungen im Juni 1983, Euphorie, schreibt er. Und gleich danach: Das Kind fehlt. Mit E. telefoniert, das Kind singt, Brief vom Kind, und Zeichnung (Artemis!!). Das Kind weint, Bienenstich. Ich denke ihn mir, wie er vielleicht an diesem Schreibtisch gesessen ist, draußen haben sie geschwatzt, oder er ist in seinem Zimmer gewesen, als er das geschrieben hat, oder unter einem Baum, im Artemision vielleicht, im Hof der Moschee, das Kind fehlt, schreibt er. Einmal muss ich krank gewesen sein, Sorge, schreibt er, zum Kind gefahren.
    Ich will mich erinnern, wie der Vater zu mir gekommen ist, weil ich krank war. Ich suche und suche, ich habe keine Erinnerung daran. Ein Kinderkopf sieht mich an, schnell hingeworfen, das bin ich, und noch einer und noch einer, das bin immer ich. Ich schlage den Band zu, weil ich es nicht mehr ertrage, wer ich geworden bin.
    Manchmal suche ich in den Tagebüchern des Vaters auch nach Hubert und warte, wenn ich seinen Namen lese, auf das Ziehen, das ich immer noch oder wieder habe, wenn ich an ihn denke. Dass wir uns so schrecklich verfehlt haben alle drei.
    Der Vater hat die Stadt gezeichnet und die Stätten, an denen er gearbeitet hat, das Stadion, das Vediusgymnasium, das Theater, das Artemision natürlich, und was sie gefunden haben da und dort. Manches erkenne ich, manches suche ich am nächsten Tag. Goldüberglänzt die Bibliothek, Säulen und Marmorblöcke, über die sich Grünes schlingt, Stierköpfe mit schweren Blütenkränzen, Kiefern und Eichen und dunkle Haine. Was unter dem Schutt in den Hanghäusern lag und was von stierblutroten Wänden bunt ihn angesehen hat aus einer andern Zeit. In dem Jahr, in dem sie die Artemis ausgegraben haben, er war so jung, als sie ihn angesehen hat, er hat ihre Züge gezeichnet, wieder und wieder.
    An einem Abend nehme ich den letzten Band. Ich muss es wissen und fürchte mich, was ich finden werde. Das Kind ist da, schreibt der Vater Anfang Juli, Anastasía, das erste Mal steht mein Name in den Tagebüchern des Vaters. Mit Anastasía durch die Stadt gegangen, sie ist fast erwachsen, schreibt er, klug. Vaterstolz, großer, schreibt er.
    Mit

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