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Sommer in Ephesos

Sommer in Ephesos

Titel: Sommer in Ephesos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Schmidauer
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lud die Eltern vor, das war das einzige Mal, dass mein Vater in eine Sprechstunde ging. Frühreif, sagte die Tante und errötete, Humbug, sagte der Vater. Als ich das Wort »Stierhoden« einwarf, beendete die Tante die Unterhaltung. Ich hatte Erbarmen und unterließ es, den Gott Bes, dessen riesiger Phallus mich faszinierte, zu zeichnen.
    Die weiße Stadt und mein Vater, der kam und ging, der im Frühling verschwand und im Herbst wiederkehrte. Der Vater schickte Postkarten, auf die hatte er Zypressen hingeworfen vor einem violetten Himmel und umgestürzte Säulen, um die sich Grünes rankte. Am Telefon beschrieb er mir die Mosaike in den Hanghäusern, er sang mir Lieder vor, die die türkischen Arbeiter auf ihren Festen sangen, wenn du größer bist, sagte er, nehme ich dich mit, versprochen. Aber dann war etwas passiert zwischen meinen Eltern und wir hatten das große Haus verlassen, meine Mutter und ich, die Villa in dem Park, in dem die Bäume das Licht grün filterten, mein Zimmer unter dem Dach, von dem aus ich auf den kleinen Teich sah und auf die Linden und Buchen, auf die Ahornallee. Wir verließen das helle Studio meiner Mutter und die Bibliothek des Vaters, in der es einen Kamin gab, an dem ich im Winter saß, und mein Vater breitete Karten vor mir aus, die eine alte Welt zeigten, mit Meeresungeheuern und Menschenmonstern. Die Winde bliesen, wir trieben gemeinsam in schwarzen Ozeanen, vollbackig aus allen Himmelsrichtungen, und hinter uns knackte das Holz im Feuer.
    Etwas war passiert und die Villa, das grüne Licht, die Bibliothek meines Vaters und die weiße Stadt versanken, ich ließ sie hinter mir, weil es keinen Platz dafür gab in der Wohnung, in der ich dann mit der Mutter lebte. Du kannst jederzeit zu mir kommen, hatte der Vater gesagt, das ist dein Zuhause, aber irgendwie war nie die Zeit, in der es passte. Manchmal verbrachte ich ein Wochenende in der Villa, der Vater arbeitete in der Bibliothek, er sah auf, wenn ich die Tür einen Spalt öffnete, als ob er sich erinnern müsste, wer ich war, ich bin draußen, sagte ich, er nickte, ich wäre gerne mit ihm in der Bibliothek gesessen, ich hätte ihn nicht gestört. Er hätte geschrieben, ich hätte gelesen, in den dicken Wälzern geblättert, wie ich es früher getan hatte, aber etwas war passiert und das ging nicht mehr. Also hatte ich lieber etwas anderes zu tun, wenn er mich zu sich einlud, er tat es nur halbherzig, schien mir, und war erleichtert, das war er doch, wenn ich ablehnte. Ich bin bei einer Freundin, sagte ich, wir haben Besuch, ich muss lernen. Kannst du das nicht bei mir?, fragte er, ich verdrehte die Augen und er fragte nicht mehr.
    Als ich größer war, gingen wir, wenn er in Wien war und Zeit hatte, einmal in der Woche essen, wir trafen einander zum Frühstück im Imperial oder zum Mittagessen beim Plachutta, manchmal abends im Steirereck, Esskultur, sagte er und weigerte sich, mit mir zu McDonald’s zu gehen. Die Länge eines Essens, das ertrugen wir, befangen beide, weil es nichts mehr gab, worüber wir reden konnten. Wenn ich ihm erzählte, was ich las, entspannte er sich. Er lachte über meine Beschreibungen von Mitschülern, von Lehrern, manchmal erzählte er vom Institut, Seltsames und Abstruses, wenn wir uns verabschiedeten, bis nächste Woche, sagte er, und immer schien es mir, als würde er aufatmen, oder auf etwas warten, bis nächste Woche, und wir hatten nichts von uns erzählt.
    Du kannst bei mir übernachten, sagte er, wenn es spät wurde. Ich sagte jedes Mal Nein, weil ich es nicht ertragen hätte, das große Haus und er und ich, weil es uns beide überfordert hätte. Er würde nicht wissen, wo die Bettwäsche war, er würde versuchen, mir beim Bettüberziehen zu helfen, das würde mich ungeduldig machen, er würde das Gefühl haben, er müsste etwas Väterliches sagen oder mit mir über meine Mutter reden. Ich hasste es, wenn er mich fragte, wie geht es deiner Mutter, was geht es dich an, habe ich einmal gesagt, danach hat er auch das nicht mehr gefragt. Beim Frühstück würde er über meine Zukunft reden wollen, vor lauter Verlegenheit würde er große Wörter in den Mund nehmen, »Verantwortung« und »Zielstrebigkeit« und »Vision«, ich war dreizehn, vierzehn, ich war fünfzehn, was kam er mir mit Verantwortung, also sagte ich Nein, wenn er mich fragte, ob ich nicht bei ihm übernachten wolle. Ich bring dich heim, sagte er, ich nehme die Straßenbahn, sagte ich, als ich schon älter war, also gab er mir Geld

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