Sommer in Ephesos
verloren haben. Der Pyriphlegethon, Py-ri-phle-ge-thon, wiederholte ich, der Flammende, führt kein Wasser, sondern kochendes Blut und Flammen, kochendes Blut und Flammen, stöhnte ich, die schwarz und feurig alles verbrennen und niemals erlöschen.
Ich seufzte tief auf.
Im Lethestrom, dem Strom des Vergessens, fuhr mein Vater fort, verlieren die Verstorbenen die Erinnerung an ihr Leben in der Oberwelt. Das ist gut, sagte mein Vater, die Erinnerung verlieren, wie könnten sie sonst ohne das Licht der Sonne, du kennst die griechische Sonne nicht, ohne das Licht der Sonne dort sein.
Dann wissen sie nichts mehr, fragte ich, von dem, was vorher war?
Nichts mehr, sagte mein Vater. Die Sonne nicht, das Wasser nicht, den Geschmack der Feigen nicht. Wie ein Baby riecht, im Schlaf, wissen sie nicht, oder wie ein Lied klingt am Morgen und nicht den Schmerz, wenn ein anderer stirbt.
Der Vater sah mich nachdenklich an.
Wie riecht ein Baby im Schlaf?, fragte ich.
Süß, sagte er und lachte und hob mich hoch, und seine Augen, die Farbe der Pappeln im Frühling, leuchteten.
Die Dame vom Bestattungsinstitut schnäuzt sich. Heuschnupfen, sagt sie, das ganze Jahr über, schrecklich. Die Blumen, die unsere Branche verlangt, machen es nicht besser, schauen Sie mich an, wie ich aussehe, vorbildlich, sage ich, für Ihr Unternehmen.
Sie sieht mich mit geröteten Augen verständnislos an, wie kann ich Ihnen helfen, fragt sie.
Ich habe angerufen, sage ich. In der Sache Reiterer.
Ach ja, sagt sie und stopft umständlich ihr nasses Taschentuch in den Ärmel ihrer Bluse. Der gute Herr Professor. Ist er also von uns gegangen. Mein herzliches Beileid.
Sie streckt mir eine feuchte Hand entgegen.
Was muss ich tun, sage ich, es ist das erste Mal, dass ich –
Die Dame unterbricht mich strahlend. Machen Sie sich keine Sorgen, flötet sie, der gute Herr Professor hat sich um alles gekümmert. Es darf etwas kosten, hat er gesagt, es soll etwas gleichschauen, und es soll alles von Ihnen, also von uns, erledigt sein, er wollte nicht, dass sich irgendjemand noch mit irgendetwas belasten muss.
Das heißt?, frage ich.
Schauen Sie, sagt sie begeistert, die Linie unseres Unternehmens ist da ganz klar. Mit dem Kunden, dem zu Bestattenden durch dick und dünn. Sie sollen sich wohlfühlen als zu Bestattender! Sie sollen das Gefühl haben, nach Hause zu kommen! Sie sollen, die Dame jauchzt beinahe, feuertrunken diese Erde verlassen! Sie schiebt mir eine Broschüre zu, wir machen Sie selig, unser Firmenmotto, strahlt sie mich an. Das hat übrigens der Herr Professor vorgeschlagen.
Verblüfft nehme ich die Broschüre entgegen. Und Sie sind, fragt mich die Dame, in welchem Verhältnis standen Sie zu dem teuren Verstorbenen?
Ich bin die Tochter, sage ich.
Ach, das ist schön, strahlt die Dame, die Tochter. Das freut mich für den lieben Herrn Professor!
Wenn Sie mir, sage ich verwirrt, sagen könnten, was mein Vater vorgesehen hat und was ich noch zu erledigen habe, es gibt doch sicher Dinge, Bürokratisches, die Parte, die Messfeier, ist er wo aufgebahrt? Erst jetzt fällt mir ein, dass mein Vater wahrscheinlich hier irgendwo untergebracht ist, Blumen, stottere ich, und Kränze, ist denn ein Anzug da?
Die Dame sieht mich enttäuscht an. Aus dem zweiten Blusenärmel fischt sie ein ebenso unansehnliches Taschentuch und wischt sich Augen und Nase. Aber ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir uns um alles kümmern, murmelt sie in das Tuch hinein. Sie weist auf die Broschüre, Seite fünf bis sieben, sagt sie und verstaut das Taschentuch, das sind die Leistungen, die Sie von uns erwarten können.
Verschiedenes ist schon erledigt, sagt die Dame, die Verständigung des Totenbeschauarztes natürlich oder die Beurkundung am Standesamt, die Benachrichtigung der zuständigen Pfarre. Wir haben Ihre Mutter benachrichtigt, die Sie dann anrufen sollte, das hat der Herr Professor so gewollt, das Kind soll es nicht von einem Fremden hören, hat der Herr Professor gesagt. Ich habe Sie mir gar nicht vorstellen können, sagt die Dame und sieht mich neugierig an, der Herr Professor hat immer vom Kind gesprochen.
Ja, sage ich, und blättere auf die Seite fünf, Ihr lieber Herr Vater, strahlt die Dame, hat das Komplettprogramm gebucht. Keine Seebestattung und kein Einbalsamieren, das wollen die wenigsten, aber ansonsten, sie schlägt eine Mappe auf, ich kann Ihnen das gerne mitgeben, haben wir ganz genaue Instruktionen Ihres Vaters bezüglich jedes dieser Punkte. Und
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