Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
Vom Netzwerk:
herum. Und nicht nur einmal stand das Paar da, sondern in hundertfacher Kopie, als sei es eine Hochzeit der Moon-Sekte. Sophie schrie erschrocken auf und schoss schweißgebadet nach oben. Von Paul war nichts mehr zu hören, die Aufnahme war wohl zu Ende. Was hatte er noch gesagt? Sie hatte keine Ahnung, sie spürte kaum noch etwas, alles war so unwirklich in Watte gepackt, das dämmrige Licht der Lampe tat ein Übriges. War es Tag oder Nacht? Sie wusste es nicht. Auf die Idee, auf die Uhr zu schauen, kam sie nicht. Ihr Körper glühte, das T-Shirt war durchgeschwitzt. Durst plagte sie, großer Durst.
    Gebeugt schleppte sie sich in Richtung der Krötenquelle. Als sie den Raum halb durchquert hatte, wusste sie kaum, wie sie das erste Stück hinter sich gebracht hatte. Der Duft der Gewürze hing im Raum, immer wieder durchschritt sie regelrechte Duftfelder. Die Decke blieb um ihren Körper gewickelt, und sie war froh, dass sie sie dabeihatte. Als sie das Wasser erreichte, trank sie direkt mit dem Mund. Vom Krötenmund in ihren Mund, dachte ihr benebeltes Hirn. Sie schluckte gierig, ihre Lippen waren ganz ausgetrocknet, sie war ausgetrocknet. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, hielt sie sich am Steinrand des Beckens fest. An ihrer Hand fehlte der Verlobungsring, schon wieder. Einen Moment lang musste Sophie überlegen, warum. Ihr Leben war in Aufruhr. Johann fand den Ring sicher gerade im Hotelzimmer – war er wütend? Suchte er sie? Oder reiste er einfach ab? Es war ihr gleichgültig. Sie wusste, diesen Ring würde sie nie wieder tragen. Egal was kam, es war vorbei mit Johann.
    Das Seelenloch über ihr war jetzt pechschwarz.
    Sie hielt ihre heiße Stirn unters Wasser und wurde sofort von Schüttelfrost gepackt. Weg hier, nur weg vom kalten Wasser. Sie wollte schlafen. Aber sie konnte nicht, sie suchte etwas. Wo war das Aufnahmegerät? Paul, sie wollte Paul. Nicht allein sein jetzt. Wenigstens seine Stimme in der Hand halten. Sie versuchte, etwas zu sehen, aber es fiel ihr schwer, also kniff sie die Augen zusammen. Wo hatte sie gelegen, das musste doch rechts gewesen sein. Fast begann sie zu schluchzen, so verzweifelt fühlte sie sich. Unschlüssig schwankte sie ein paar Schritte in den Raum. Die vielen Bilder, Votive und Kröten drangen auf sie ein. Allein würde sie das hier nicht durchstehen. Was vor einer Stunde noch schützend und heimelig gewirkt hatte, erschien ihr plötzlich bedrohlich. Schwindelig drehte sie sich um die eigene Achse, dabei stieß ihr Fuß an Metall. Der Rekorder! Sie ließ sich fallen und nahm ihn zu sich, mit unter ihre Wolldecke. Dann rollte sie sich mit der schützenden Wand im Rücken in die Decke ein, über sich eine wunderschön gestanzte Kröte aus Silber. Ihre Finger fanden schließlich die Tasten, Pauls Stimme erklang wieder, irgendwo mitten im Satz, »… ich will …«. Sie entspannte sich und glitt im Klang seiner Worte in angenehmere Träume. »Ich will«, echote ihr Hirn. Dann schlief sie erschöpft ein.

19
    Die Fieberträume kamen und gingen. Sophie lag in embryonaler Haltung zusammengekrümmt auf dem Boden und wusste kaum mehr, ob sie schlief oder wach war. Sie starrte auf die gegenüberliegende Wand mit den Votivbildern und Kröten und versuchte verzweifelt, eine Ordnung hineinzubringen. Die glücklichen Bilder nach links, die traurigen nach rechts, und dazwischen die Kröten. Aber die Bilder rutschten immer wieder zurück, wirbelten durcheinander, sie bekam sie einfach nicht geordnet. Träumte sie jetzt? Oder bewegte sich die Wand wirklich? Ihr Mund war wieder so trocken, sie hätte gerne Wasser getrunken, aber der Weg dorthin war zu weit. Sophie schaute zur Kröte, die Kröte blickte steinern zurück.
    Wie lange lag sie nun schon so da? Sophie wusste es nicht, sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Durch das Ochsenauge drang gleißendes Licht, demnach war es jetzt Tag.
    Es hämmerte in ihrem Kopf.
    Ein Seil schob sich nun die Wand herunter, ein dickes Bergsteigerseil, und sein Ende plumpste schließlich auf den Kopf der Kröte, mit einem hörbaren kleinen Plopp. Wie echt diese Träume sich anfühlten. Sophie wunderte sich über gar nichts mehr, dafür war sie viel zu matt. Ein Bein schob sich durch das Ochsenauge, nun noch eines, und es hätte sie kaum erstaunt, wenn noch ein drittes Bein hinzugekommen wäre. Aber nein, es blieb bei zwei Beinen in einer hellen Hose mit Seitentaschen. Nun erschien ein Oberkörper in einem grob karierten Flanellhemd. Sophie betrachtete

Weitere Kostenlose Bücher