Sommer mit Nebenwirkungen
ihren Traum wie aus großer Ferne und beinahe teilnahmslos. Dann brach er ab.
Sie träumte weiter und fühlte den weichen, warmen Stoff des karierten Flanellhemdes. Überhaupt war ihr viel wärmer, sie fühlte sich wie in Daunen gebettet, denn ihr Kopf lag plötzlich so weich, so geschützt. Und langsam dämmerte ihr, dass sie von jemandem gehalten wurde. Sonderbarerweise erschrak sie nicht, sie wollte aber auch nicht die Augen öffnen, um zu sehen, wer sie da hielt, und so tastete sie sich mit ihrer Hand vorwärts und traf schließlich auf den Unterarm eines Mannes. Dass der Arm einem Mann gehörte, spürte sie sofort, er war muskulös, mit einer großen Uhr am Handgelenk. Dann kam die Hand – nein, dies war nicht Johann, das hätte sie gemerkt, auch nicht von Studnitz, dafür war der Arm zu trainiert. Sie kannte den Arm, kannte die Finger, die sich einmal, ein einziges Mal, gefunden hatten. Wie lange war das her?
Paul.
»Du bist da. Endlich«, murmelte sie nur.
»Ich pass auf dich auf, schlaf dich gesund«, murmelte es zurück.
Dann schlief Sophie wieder ein. Tief, fest und traumlos.
Irgendwann wachte sie auf und dachte, es sei Nacht. Eine Laterne leuchtete in ihrer Nähe und warf ihr flackerndes Licht in den Raum. Die elektrische Birne dagegen war aus. Aber als sie, in der Erwartung, dort ein pechschwarzes Loch vorzufinden, zum Ochsenauge sah, schimmerte es dunkelgrau. Es war laut im Raum, viel lauter als sonst. Das Rauschen der Quelle hatte enorm zugenommen.
»Was ist los?«, fragte Sophie.
»Es regnet draußen«, antwortete Paul, auf dessen Bein ihr Kopf ruhte. »Dann führt die Quelle mehr Wasser.«
Er hielt ihre Hand. Sophie setzte sich auf. Sie spürte, wie die Kleidung an ihrem Körper klebte.
»Ich bin total verschwitzt«, sagte sie.
»Ja, du hattest hohes Fieber, als ich heute Mittag kam. Ich denke, jetzt ist es gesunken. Möchtest du einen Tee?« Er griff in einen Korb und zog eine Thermoskanne hervor.
Sophie musste lachen. »Was ist das? Ein Picknickkorb?«, fragte sie erstaunt.
»Ja, wir werden hier rundum versorgt. Dein Freund Philipp nennt es seinen ganz besonderen Room Service.« Er goss den Tee in eine Tasse. Sophie trank einen Schluck, es tat ihr gut.
Picknickkorb? Room Service? Sie war noch viel zu matt, um nachzufragen. Sie legte sich wieder auf Pauls Bein und zog den Schlafsack, den sie zu ihrem Erstaunen entdeckt hatte, eng um sich; der hatte sie also die ganze Zeit so gewärmt. Unter ihr lagen die Wolldecken aus der Liegehalle. Ein richtiges Bett hatte er ihr gebaut, ein Krankenlager.
Sanft strich er die Locken aus ihrem Gesicht.
»Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht, als ich dich so fiebernd vorgefunden habe«, murmelte er leise. »Aber Katalin hat mich beruhigt. Ich habe sie kurz reingelassen. Sie meinte, es sei keine richtige Krankheit. Mehr ein Kampf mit alten Dämonen.« Man hörte ihm die Erleichterung an. Es war ausgestanden.
Sophie lag auf seinem Bein und blickte in den Raum. Bei Kerzenschein sah alles noch viel unheimlicher aus als bei elektrischem Licht. Bei Tageslicht verlor sich der Eindruck fast ganz. Plötzlich verstand sie, warum Dinge, die vor Jahrhunderten eine starke Aura besessen hatten, in Museen so harmlos aussahen. Klinisch ausgeleuchtet, in einer sterilen Vitrine, verloren sie ihre Kraft.
»Hast du dich hier umgeschaut? Hast du so einen Raum schon einmal gesehen?«
»Nein, noch nie. Wusste gar nicht, dass so etwas in Mitteleuropa überhaupt existiert. Es ist so …«, er suchte nach den richtigen Worten, »… heidnisch. Kröten! Ein Wunder, dass das Geheimnis bis heute gewahrt blieb.«
»Und, du als Journalist – wirst du es ausplaudern? Das gehört doch zu deinem Beruf«, fragte Sophie freundlich, aber auch leicht spöttisch.
»Na, hör mal. Ich kann schweigen. Vergiss bitte nicht, ich habe dich nicht an den medialen Pranger gestellt. Obwohl damals die Aktion mit der Luger und dem – wie hieß er noch mal…?«
»Heinlein«, half Sophie aus.
»Genau, Heinlein. Das wäre ein perfekter Anfang für eine preiswürdige Reportage gewesen. Aber ich habe es gelassen – nicht wegen deiner Chefin. Wegen dir. Ich bin ein diskreter Journalist, manchmal zumindest. Dieser Raum hier wird bei mir nie auftauchen. Ich zerstöre doch nicht ein so altes Geheimnis für ein bisschen Aufmerksamkeit.«
Sophie legte sich auf den Rücken, sodass sie Paul zum ersten Mal richtig ansehen konnte. Ja, da war er wieder – der Paul aus dem Assessment-Center. Nur sah er
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