Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
sie auf.
„Schnapp dir die verdammte Leine“, rief er. „Los jetzt!“
Sie griff daneben, versuchte es noch einmal, ließ sie sich dieses Mal absichtlich durch die Finger gleiten, um Vance’ Aufmerksamkeit auf sich gerichtet zu halten. Es war von entscheidender Bedeutung, ihn abzulenken, denn in den Schatten der Bäume am Ufer hatte sie eine Bewegung gesehen. Sie waren nicht mehr alleine.
„Ich versuche es ja“, keuchte sie. „Ich kriege … es … nur …“
Er schoss noch mal. Im gleichen Augenblick näherte Ross sich ihm gebeugt von hinten und packte seine Knöchel. Dann zog er die Arme zurück, und Vance fel fach aufs Gesicht. Sogar auf die Entfernung konnte Claire hören, wie die Luft aus seinen Lungen entwich. Die Waffe schlitterte über die Holzplanken und fel ins Wasser. Mit methodischen Bewegungen, die sie daran erinnerten, dass Ross ein ausgebildeter Soldat war, setzte er Vance außer Gefecht. Er tat das mit der Eleganz eines Tänzers. Dann durchsuchte er ihn und nahm eine zweite Waffe aus Vance’ Knöchelholster.
Es waren nur Sekunden vergangen. Claire trat Wasser und hielt die Leine des Flugzeugs in der Hand. Bis auf die Knochen erschüttert schwamm sie zum Steg und band die Leine an einer Klampe fest. Sie hielt sich an einem Schwimmer fest und sah sich nach einer Möglichkeit um, aus dem kalten Wasser zu klettern.
Ross fesselte mit seinem Gürtel Vance’ Hände auf dem Rücken.
„Claire …“
„Keine Bewegung!“, sagte eine weitere Stimme.
Claire erstarrte. „Teresa.“ Vance’ Frau spiegelte sich in der Wasseroberfäche. Sie hatte die ganze Zeit im Flugzeug gewartet. Jetzt stand sie auf einem der Schwimmer und hielt eine Waffe in der Hand.
„Fallen lassen, oder ich schieße!“, befahl sie.
Ohne zu zögern ließ Ross die Pistole los, die er Vance abgenommen hatte. Sie fel in den See und sank.
Gut gemacht, dachte Claire.
Teresa trat vom Schwimmer auf den Steg. „Komm aus dem Wasser!“, befahl sie Claire. „Und zwar schnell!“ Sie wandte sich an Ross. „Und Sie – bleiben Sie auf Distanz.“
Claire stützte sich am Schwimmer ab und hievte sich auf den Steg. Ihre Arme zitterten. Ihr ganzer Körper zitterte.
„Alles okay, Baby?“, fragte Teresa ihren Ehemann. „Bitte sag mir, dass mit dir alles in Ordnung ist.“
Vance stöhnte. „Halt dich einfach … an den Plan.“
Claires Gedanken wirbelten wild durcheinander. Teresas Anwesenheit war überraschend, auch wenn es das nicht hätte sein sollen. Sie liebte ihren Mann bis zum Exzess; das war eines der ersten Dinge, die Claire an ihr aufgefallen waren. Claire erinnerte sich noch, gedacht zu haben, dass Teresa ausfippen würde, wenn sie von Vance’ Affäre mit seiner Partnerin Ava erführe.
Claire hatte keine Ahnung, ob die Affäre immer noch andauerte oder nicht. Sie wusste, dass sie Gefahr lief, erschossen zu werden, wenn sie ihren Mund öffnete – aber sie könnte Ross damit eine Chance geben, etwas zu unternehmen.
„Frag ihn, ob Ava Snyder auch Teil des Plans ist“, forderte sie Teresa auf.
Teresas Gesichtszüge erstarrten, und Claire wusste, dass sie auf der richtigen Spur war. „Er und Ava sind ein Liebespaar“, fuhr Claire fort. „Sie haben schon seit Jahren eine Affäre. Ich bin überrascht, dass du es bisher noch nicht herausgefunden hast.“
„Lügnerin!“ Teresa richtete die Waffe auf Claires Brust.
Claire hatte das Gefühl, sie würde vor Angst ohnmächtig werden, aber sie sprach unbeirrt weiter. „Er hat einen Ring von Mr Bellamy mitgehen lassen, einen unbezahlbar wertvollen antiken Ring von Tiffany. Er hat vor, ihn Ava zu schenken.“ Das war reine Spekulation, aber sie spürte, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. „Guck doch in seiner Tasche nach, wenn du mir nicht glaubst! Er hat dich all die Jahre zum Narren gehalten, hat in deinem noblen Haus gewohnt, dein Geld ausgegeben …“
Teresa drückte ab. Claire stolperte rückwärts, und Ross stürzte sich auf Teresa. Er hielt inne, als die Waffe wieder auf Claire gerichtet wurde. Während das Echo des Schusses von den Felswänden widerhallte, rief Claire: „Ross! Bei mir ist alles gut.“
Bei Vance jedoch nicht. Nach dem dunklen Blut zu urteilen, das sich langsam auf dem Steg ausbreitete, hatte seine Frau ihn an einer lebenswichtigen Stelle getroffen. Teresa blieb unheimlich ruhig. „Ich habe immer einen Plan B. Nun muss ich mich nur noch für die richtige Geschichte entscheiden. Aber das ist meine Spezialität, weißt du
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