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Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens

Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens

Titel: Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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Grundsatz, so weit wie möglich ehrlich zu sein. In anderen Bereichen ihres Lebens gab es so viele Lügen, doch das hier sollte keine davon sein. „Nun“, sagte sie beinahe entschuldigend, „da war das Singen in Poughkeepsie.“
    „Jeder singt auf Autofahrten! Das ist uramerikanisch.“
    „Okay. Vergessen Sie, dass ich überhaupt etwas gesagt habe.“
    „War es wirklich so schlimm?“
    „Ziemlich schlimm, George.“
    „Verdammt.“ Er blätterte in seinem Notizbuch.
    „Ich versuche nur, ehrlich zu sein.“
    „Oh, mir macht es nichts aus, dass Sie meinen Gesang gehasst haben“, sagte er. „Aber das lässt mich einen Punkt auf meiner Liste noch einmal überdenken. Ah, da ist er ja. Ich wollte für meine Familie ein Lied singen.“
    „Das könnten Sie immer noch tun.“
    „Damit sie nicht traurig sind, dass ich sterben muss?“
    „Sie bräuchten nur ein wenig Hintergrundmusik, und dann würde das schon hinhauen.“
    „Haben Sie Lust, mich zu begleiten?“
    „Auf gar keinen Fall. Ich kann nicht singen. Aber ich werde jemanden auftreiben, der Ihnen hilft.“
    „Ich komme darauf zurück.“
    Das ist einfach, dachte sie. Sie musste nur eine Karaoke-Bar finden. Und seine Familie dazu bringen, zu kommen. Okay, vielleicht war es doch nicht so einfach.
    „Unserer Begegnung mit Officer Superfreundlich nach zu urteilen, sind Ihre Verwandten nicht sonderlich glücklich mit mir“, stellte Claire fest. Ihr war das egal. Ihre einzige Sorge galt George, ihrem Patienten. Natürlich war es besser, wenn die Familie dem Ganzen unterstützend zur Seite stand, denn Familien hatten so eine Art, alles zu verkomplizieren. Manchmal redete sie sich ein, dass es eigentlich ein Segen war, keine Familie zu haben. Eine Komplikation weniger, mit der sie sich herumschlagen musste.
    Sie stellte sich oft vor, wie es wohl war, Familie zu haben. So wie sich ein Diabetiker vielleicht vorstellte, ein Stück Kuchen mit Zuckerguss zu essen. Es würde niemals passieren, aber man durfte davon träumen. Manchmal nahm sie heimlich an Familientreffen teil – Schulabschlussfeiern, Hochzeiten im Freien, sogar das eine oder andere Begräbnis hatte sie schon besucht – einfach nur, um zu sehen, wie es war, eine Familie zu haben. Sie war fasziniert von den Traueranzeigen in den Zeitungen, und ihr Blick fiel immer unweigerlich auf die lange Liste von Familienmitgliedern, die der Verstorbene hinterließ.Was, wenn sie genauer darüber nachdachte, wirklich erbärmlich war, aber auch nicht so schlimm, als dass sie sich darüber Sorgen machen müsste.
    „Meine Familie ist zu schnell mit ihrem Urteil“, sagte er. „Sie haben Sie ja noch nicht einmal kennengelernt.“
    „Nun ja, Sie haben die ganze Sache ja auch relativ zügig umgesetzt.“
    „Wenn ich das nicht getan hätte, hätten sie versucht, mich aufzuhalten. Sie behaupten, wir wären inkompatibel, weil wir viel zu verschieden sind.“
    „Unsinn!“, widersprach Claire. „Sie haben blaues Blut, und ich trage den blauen Kragen der Arbeiter – es ist nur eine Farbe.“
    „Genau“, nickte er.
    „Wir sind alle im gleichen Rennen“, fügte sie hinzu.
    „Ich bin aber schon näher an der Ziellinie.“
    „Ich dachte, wir wollten eine positive Einstellung beibehalten.“
    „Tut mir leid.“
    „Alles wird gut“, versprach sie ihm.
    „Na, für einen von uns wird es ein böses Ende nehmen.“
    „Dann konzentrieren wir uns einfach nicht darauf.“
    Es gab bekannte psychologische und klinische Stadien, die ein Patient mit einer tödlichen Diagnose am Ende seines Lebens durchlief – Schock, Wut, Leugnen und so weiter. Jeder, der in ihrem Beruf arbeitete, kannte sie auswendig. In der Praxis drückten die Patienten die Stadien jedoch so unterschiedlich und individuell aus, wie sie als Menschen selber waren.
    Manche hielten die Verzweiflung mit Leugnen in Schach, andere nahmen dem Tod gegenüber eine neunmalkluge Haltung an. George schien sich in dieser Phase sehr wohlzufühlen. Sein ironischer Humor gefiel ihr. Natürlich setzte er Humor und Sarkasmus ein, um dunklere Gefühle im Zaum zu halten – Verzweiflung und Unsicherheit, klägliche Angst, Reue, Traurigkeit.Im Laufe der Zeit würden diese Emotionen vielleicht noch ans Tageslicht treten, vielleicht aber auch nicht. Es war ihre Aufgabe, egal wie für ihn da zu sein.
    Alle ihre vorherigen Patienten hatten in der Stadt gelebt, wo es möglich war, ein anonymes Gesicht in der Menge zu sein. Das hier war das erste Mal, dass sie sich an einen Ort

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