Sommerbuch
du denn gebetet ?« fragte Sophia mißtrauisch.
»Heute morgen .«
»Trotzdem«, sagte Sophia heftig und streng, »und trotzdem hast du viel zu wenig Essen mitgenommen und nichts Ordentliches zum Anziehen?! Hast du vielleicht nicht an ihn geglaubt ?«
»Aber ja doch, vielleicht habe ich mir aber vorgestellt, daß es aufregend ist, wenn man es ohne etwas versucht...«
Sophia seufzte. »Ja«, sagte sie. »So bist du! Hast du deine Medizin genommen ?«
»Doch, ich hab’ sie genommen .«
»Gut. Dann kannst du ja schlafen und brauchst nicht dran zu denken, was du angerichtet hast. Ich werde es niemandem verraten !«
»Lieb von dir«, sagte die Großmutter.
Am nächsten Tag gegen drei Uhr flaute es ab, so daß sie nach Hause fahren konnten. Der Fischerkahn lag unbeschädigt vor der Veranda, angespült mit Rudern und Schöpfer. Und das Fenster hatten sie zugemacht gehabt. Eine Reihe von Dingen hatte der liebe Gott nicht retten können, weil die Großmutter zu spät darum gebeten hatte, doch als sich der Wind drehte, rollte er auch die Kochtöpfe noch ans Ufer. Und der Hubschrauber kam, wie sie es gehofft hatten. und schrieb ihre Namen und den der Insel auf eine Liste.
Der gefährliche Tag
Etwa um zwölf an einem sehr heißen Tag begannen über der höchsten Kiefer auf der Insel die Motten zu tanzen. Motten, nicht zu verwechseln mit Mücken, tanzen in vertikalen Schwärmen und immer im Takt, Millionen und Billionen mikroskopisch kleiner Motten hoben und senkten sich mit vollendeter Genauigkeit, während sie im Diskant sangen.
»Ihr Hochzeitstanz«, sagte die Großmutter und versuchte in die Luft zu gucken, ohne das Gleichgewicht zu verlieren.
»Meine Großmutter hat immer gesagt, wenn die Motten bei Vollmond tanzen, dann sollte man vorsichtig sein !«
»Wie ?« fragte Sophia.
»Das ist der große Tag der Paarung, und da ist nichts sicher. Man muß sich sehr vorsehen und nicht das Schicksal herausfordern. Kein Salz verschütten oder Spiegel zerschlagen, und wenn die Schwalben das Haus verlassen, ist es am besten, man zieht noch am selben Abend um. Sehr anstrengend alles.«
»Wie konnte sich deine Großmutter nur solche albernen Sachen ausdenken ?« fragte Sophia erstaunt.
»Sie war abergläubisch«, antwortete Sophias Großmutter.
»Und was ist abergläubisch ?«
Die Großmutter dachte nach und antwortete, was unerklärlich sei, versuche man nicht zu erklären. Zum Beispiel, wenn man bei Vollmond einen Zaubertrank kocht, der wirken soll! Großmutters Großmutter war mit einem Pfarrer verheiratet, der an Aberglauben nicht glaubte. Jedesmal, wenn er krank oder melancholisch wurde, kochte ihm seine Frau einen Absud. Aber die arme Frau mußte es heimlich tun. Und wenn er davon dann gesund wurde, mußte sie sagen, daß es nur die Tropfen waren. Es war auf die Dauer wirklich eine Zumutung für sie.
Sophia und die Großmutter setzten sich ans Ufer, um weiter über diese Sache zu reden. Es war ein schöner Tag mit langen Dünungen ohne Wind. Eben an einem solchen Tag in den Hundstagen treiben große fremde Dinge vom Meer herein, daß sich Boote allein von ihren Ufern lösen und losfahren. Manche sinken, manche steigen, die Milch wird sauer, und die Libellen tanzen verzweifelt. Die Eidechsen haben keine Angst. Wenn der Mond aufgeht, paaren sich die roten Spinnen auf unbewohnten Schären, dort sind die Klippen ein einziger Teppich von kleinen verzückten Spinnen.
»Wir sollten den Vater vielleicht warnen«, sagte Sophia.
»Ich glaube nicht, daß er abergläubisch ist«, antwortete die Großmutter. »Übrigens ist Aberglaube veraltet. Und du mußt immer mehr an deinen Vater glauben !«
»Natürlich«, antwortete Sophia.
Zusammen mit der Dünung kam eine große Krone aus gebogenen Baumzweigen ans Land, als ob ein riesiges Tier langsam über den Meeresgrund wanderte. Die Luft stand still und zitterte vor Hitze über dem Fels.
»Hat sie denn nie Angst gehabt ?« fragte Sophia.
»Nein, es machte ihr Spaß, andere zu erschrecken! Sie konnte zum Frühstück hereinkommen und sagen: Einer wird sterben, bevor der Mond untergegangen ist, denn jemand hat die Messer überkreuz gelegt. Oder auch, weil sie von schwarzen Vögeln geträumt hätte.«
»Ich habe heute nacht von einem Meerschweinchen geträumt«, sagte Sophia. »Versprich mir, daß du vorsichtig bist und dir nicht das Bein brichst, bevor der Mond untergegangen ist !«
Die Großmutter versprach es.
Sehr seltsam war, daß die Milch wirklich sauer wurde. Sie
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