Sommerbuch
in der Nähe des Hochwasserzeichens.
»Wir müssen die Blumenstöcke hereinnehmen«, sagte die Großmutter. »Sie stören die Landschaft .«
Aber Sophias Vater ließ sie stehen, sonst konnte man, wenn sie zurückkamen, nicht wissen, was schon Wurzeln hatte. Die Großmutter hatte viele Sorgen.
»Nimm an, sie gehen an Land, das tun sie immer. Sie können nicht wissen, daß das grobe Salz im Keller ist, und die Luke kann von der Feuchtigkeit verzogen sein. Wir müssen Salz mit einem Etikett und hier oben haben, damit sie nicht glauben, es sei Zucker. Wir müssen mehr Hosen heraushängen. Nasse Hosen sind das Schlimmste, was man sich denken kann, das findet jeder. Wenn sie nun ihre Netze über den Beeten aufhängen und alles niedertrampeln? Man weiß nie wegen der Wurzeln .« Ein wenig später war sie wegen des Schornsteins beunruhigt und hängte ein Plakat auf: »Nicht die Ofenklappe zumachen, sie kann festrosten . Wenn es nicht zieht, ist im Schornstein vielleicht ein Vogelnest, das heißt also später im Frühjahr .«
»Aber dann sind wir doch schon hier«, sagte Sophias Vater.
»Bei Vögeln weiß man nie so genau«, antwortete die Großmutter.
Sie nahm die Gardinen eine Woche zu früh ab und verhängte das Süd- und Ostfenster mit Laken aus Papier. Dorthin schrieb sie: »Die Vorhänge nicht entfernen, sonst fliegen die Herbstvögel quer durch das Haus. Alles gern benutzen, aber bitte frisches Holz hereinholen. Das Werkzeug ist unter der Hobelbank. Freundliche Grüße!«
»Warum hast du solche Eile ?« fragte Sophia, und ihre Großmutter antwortete, es sei immer gut, man tut etwas, wenn man gerade weiß, wie und warum. Sie legte Zigaretten für Gäste hin und Kerzen, falls die Lampe nicht funktionierte, und versteckte das Barometer, den Schlafsack und das Muschelkästchen unter dem Bett. Später nahm sie das Barometer wieder vor. Die kleine Skulptur wurde niemals versteckt. Die Großmutter wußte, daß niemand so ein Gebilde begriff, aber außerdem meinte sie auch, daß andere gut daran etwas lernen könnten! Sie durften auch die Matten behalten, damit das Zimmer im Winter nicht zu unfreundlich aussähe.
Das Zimmer veränderte sich, weil zwei Fenster verhängt waren. Es wurde dadurch geheimnisvoll wie bei einer Verschwörung und eigentlich sehr einsam. Die Großmutter putzte die Türklinke blank und scheuerte den Abfalleimer. Am nächsten Tag wusch sie alle ihre Kleider auf dem Holzplatz. Dann war sie erschöpft und ging ins Gästezimmer. Dort war es im Herbst immer sehr eng. Das Gästezimmer war jetzt der Platz für alles, was auf das nächste Frühjahr warten sollte oder was nicht mehr gebraucht wurde. Die Großmutter liebte es, selbst zwischen Sachen und Gegenständen eingefügt zu sein, und bevor sie einschlief, betrachtete sie alles aufmerksam, was sie umgab: Netze, Nägelkästen, Drahtbündel und Seilknäuel, Torfsäcke und andere wichtige Sachen, und mit einer Art von Zärtlichkeit notierte sie Namenzeichen von seit langem gekenterten Booten, die ersten Aufzeichnungen über »Wahrscheinlichkeit für Stürme«, Daten über geschossene Wasserwiesel, tote Seehunde u. a., und vor allem blieb ihr Blick an dem schönen Bild mit dem Einsiedler hängen, in seinem offenen Zelt in einem Meer von Wüstensand und mit einem beschützenden Löwen im Hintergrund. Wie soll ich dieses Zimmer verlassen können? dachte sie.
Es war nicht so leicht, ins Haus zu kommen, die Kleider auszuziehen, das Fenster zu öffnen und endlich die Beine auszustrecken. Sie löschte das Licht aus und hörte, wie sie sich hinter der anderen Seite der Wand hinlegten. Es roch nach Teer und nasser Wolle, vielleicht ein wenig Terpentin, und das Meer war genauso still.
Bevor die Großmutter einschlief, erinnerte sie sich an den Nachttopf, der unter dem Bett stand, und sie haßte diesen Gegenstand, das Symbol der Hilflosigkeit. Sie hatte ihn aus reiner Freundlichkeit entgegengenommen. Ein Nachttopf ist bei Sturm oder bei Regen gut, aber beinah jeden Tag mußte er bis ans Ufer gebracht werden, und alles, was man verstecken muß, ist eine Last.
Als die Großmutter aufwachte, lag sie lange da und fragte sich, ob sie rausgehen sollte oder nicht. Sie fühlte, wie die Nacht dicht an die Wände gekommen war und draußen wartete. Die Beine taten ihr weh. Die Treppe war falsch gebaut. Sie hatte hohe Stufen und war schmal, und dann kam der Fels, der zum Holzplatz hin glatt war, und dann den ganzen Weg zurück! Nicht Licht machen, denn dann verliert man
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