Sommerfest
uninteressant, denkt er, und deshalb kriege ich auch meinen Vertrag nicht verlängert.
»Ich treffe mich mit meiner Omma.«
»Ich verstehe«, sagt Anka.
»Gut«, sagt Stefan.
Dann schweigen sie sich wieder an, und das geht Stefan dann doch gehörig auf den Senkel. Wenn man sich so anschweigt, denkt er, dann ist der Wurm drin, dann hat man sich tatsächlich nichts mehr zu sagen, und da sollte man dann auch die Konsequenzen ziehen, besser gesagt den Schlussstrich.
»Ich werde nicht mehr da sein, wenn du zurückkommst«, sagt Anka.
Oho, denkt er, das ist aber mal ein Paukenschlag! Amliebsten würde er erwidern, sie solle seinen Wohnungsschlüssel einfach in den Briefkasten werfen, aber das ist ihm jetzt zu platt.
»Stefan …«, sagt sie dann noch und beweist damit, dass sie die Wenige-Worte-Strategie auch ganz gut draufhat, denn in diesem einen Wort, seinem Namen, stecken dann wieder viele Tränen, echte Tränen aber diesmal, das merkt er irgendwie, also sagt er, sie würden über alles reden, wenn er erst mal zurück sei, und als sie daraufhin Danke sagt, ärgert er sich schon wieder. Man kann mit niemandem zusammen sein, der sich bedankt, nur weil man ankündigt, mit ihm reden zu wollen, vor allem wenn beide davon ausgehen können, dass es kein schönes, sondern ein überaus anstrengendes, deprimierendes Gespräch sein wird. Mit Leuten, die sich noch entschuldigen, wenn man ihnen ins Gesicht schlägt, kann man sich nicht ordentlich prügeln, das steht mal fest.
Jetzt hat er doch eine ganze Zeit lang hier auf einem Fleck gestanden und einiges an Zeit verloren. Ein Bus fährt an ihm vorbei. Fünfzig Meter weiter ist die Haltestelle, aber den Bus kann er nur kriegen, wenn er jetzt losrennt, und hinter einem Bus oder einer Bahn herzurennen ist ungefähr so peinlich wie ins Telefon zu keuchen. Wenn es in deinem Leben darauf ankommt, genau diesen Bus, genau diese Bahn zu erwischen, dann hast du ein Problem, denkt Stefan.
Ein paar Sekunden starrt er auf das Telefon, dann ruft er bei Charlie an. Toto Starek hat ihn schon gefragt, ob er das erledigt habe, Omma Luise wird sicher ebenso fragen wie Frank Tenholt. Stefan wird dann sagen können, ja sicher, hab ich gemacht, und damit wäre die Luft erst mal raus aus dem Thema.
Also wählt er ihre Nummer, von der er hofft, dass sie noch die gleiche ist, aber so viel er weiß ist Charlie nicht umgezogen, auch wenn er sich fragt, woher er das hätte wissen sollen. Es klingelt und klingelt und noch immer geht niemand ran, es meldet sich auch kein Anrufbeantworter.
Zehn-, zwanzigmal lässt er es klingeln, dann legt er auf. Wenn sie nach dem neunzehnten Klingeln rangegangen wäre, wäre das Gespräch sowieso eine Katastrophe geworden, man kann nur sauer sein auf jemanden, der es so penetrant lange klingeln lässt, sechs-, siebenmal, das ist doch beim Klingelnlassen das Höchste der Gefühle. Aber Stefan hat jetzt seine Pflicht getan, er hat sich nicht gedrückt, niemand kann ihm einen Strick drehen, woraus auch immer. Langsam bekommt er Hunger auf die frischen Brötchen.
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4 Hier sieht es tatsächlich nicht aus wie in einem Heim, eher wie in einem Hotel. Stefan durchquert die Eingangshalle, wo einige ältere Damen an runden Bistro-Tischen sitzen und Kaffee trinken. Zwei Rollatoren stehen daneben, eine Frau sitzt im Rollstuhl. Etwa die Hälfte der Frauen leidet an einer Art Altersübergewicht. An einem der Tische sitzt ein Mann mit einem weißen Haarkranz um den kahlen Schädel. Der Mann sitzt sehr aufrecht, als würde er fotografiert.
Stefan tritt an den Empfangstresen und sagt, er möchte zu Frau Borchardt. Die Dame hinter dem Tresen, die gerade mit einem Kugelschreiber ein Formular ausfüllt, hebt nur kurz den Kopf, lächelt ihn an und sagt, erster Stock, die Treppe hinauf und dann links, er könne auch den Fahrstuhl nehmen. Ohne Gesichtskontrolle kommt hier keiner rein.
Er öffnet die Tür zum Treppenhaus und geht in den ersten Stock hinauf. Er klingelt bei Omma Luise, die gleich darauf die Tür aufreißt und ihn mit einem gebrummten »Das wurde aber auch Zeit!« begrüßt. Stefan beugt sich zu ihr hinunter, da sie über einssiebenundfünfzig nie hinausgekommen ist, und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Ihr Haar riecht ein wenig nach Nikotin, also hat Omma Luise heute Morgen schon eine durchgezogen.
Sie hält ihn einen Moment fest. Er drückt sie an sich und verflucht sich dafür, dass er so selten hier ist. Sein Leben und alles, was er ist, ist ohne
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