Sommerfest
natürlich nicht ahnen.
Stefan fragt Omma Luise nach ihrem Alltag, den anderen Hausbewohnern und wie es ihr hier jetzt gefällt. Eigentlich hat sie gar nicht herziehen wollen, »weil da nur alte Leute herumlaufen« und sie sich mit Mitte achtzig nicht dazuzählte, aber dann nahmen ihre körperlichen Probleme zu. Mal fiel sie beim Friseur um und musste an der Halsschlagader operiert werden, dann hatte sie es im Fuß und konnte kaum laufen, weil sich irgendeine Hautgeschichte entzündet hatte. Dann hieß es, sie habe Gicht, dann wieder, das sei eine Sprunggelenksarthrose, und dann der Rücken, der immer wieder schmerzte, ohne dass die Weißkittel herausbekamen, wieso. Jedes Mal, wenn man Omma Luise nach ihren Beschwerden fragt, sagt sie: »Geht schon wieder besser.« Man kann sich doch nicht hängen lassen, ist ihr Credo, und dazu gehört, dass man sich die eigenen Beschwerden schönredet, so wie Schamanen früher wunde Stellen »besprachen«. Es funktioniert, denn verglichen mit anderen Frauen ihres Alters geht es Omma Luise ausgezeichnet. Sie steht nicht plötzlich vor dem Bahnhof, ohne zu wissen, wie sie dahingekommen ist, ihr Herz ist in Ordnung, »und bevor ich einen Rollator nehme, häng ich mich auf«, hat sie mal gesagt. Trotzdem macht Stefan sich Sorgen.
Als er vor ein paar Jahren das letzte Mal zu Besuch gewesen ist, hat er sie darauf angesprochen, ob es nicht eine gute Idee wäre, doch noch mal umzuziehen, irgendwohin, wo man ihr helfen könne, wenn es nötig wäre. Ein stinknormales Heim, das war ihm klar, käme für Omma Luise nicht in Betracht. Sie selbst hatte immer gesagt, wenn überhaupt, dann in dieses Haus mitten in der Stadt, aber das könne sie sich ja nicht leisten. Na ja, hat Stefan gesagt, sie müsse sich das ja auch nicht alleine leisten, er sei ja auch noch da, aber davon hat sie zunächst nichts wissen wollen. Dann sind ihr die Tränen in die Augen geschossen, und Stefan hat sich schon gefragt, ob das wirklich eine gute Idee war, ihr vorzuschlagen, aus ihrer schönen Wohnung, in der sie nun auch schon fünfundzwanzig Jahre lebte, auszuziehen, was Omma Luise als weiteren Schritt Richtung Grab deuten musste. Dann aber wischte sie sich die Tränen aus den Augen und sagte: »Eins sag ich dir gleich: Was im Keller ist, kann alles weg!«
Dass er sich hier an der Miete beteiligt, fällt ihm ein, ist ein weiterer Grund, die Sache mit dem Vorsprechen am Montag ernst zu nehmen. Als Seriendarsteller hätte er garantiert mehr auf der Tasche.
Und wie aufs Stichwort fragt sie ihn jetzt, wie es bei ihm beruflich laufe.
»Du, vom Theater bin ich jetzt weg. Am Montag fange ich wahrscheinlich mit einer Fernsehserie an.«
»Aber musst du dann da unten bleiben?«
»Sieht so aus.«
»Fernsehen? Ist das denn was für dich?«
»Ich dachte, ich probiere mal was Neues.«
Unvermittelt steht Omma Luise auf und holt Stefan die zweite Tasse Kaffee.
»Ich mach jetzt aber keinen frischen. Eine vergammelte Tasse wirst du ja wohl mal aushalten.«
»Ist schon in Ordnung.«
Sie schenkt ihm ein, wirft einen Blick in die Tasse und sagt: »Völlig normaler Kaffee. Da gibt es nichts zu meckern.«
Sie setzt sich wieder und zieht ihre Bluse glatt. »Und weil du was Neues ausprobieren willst, musst du dein Elternhaus verkaufen.«
»Was soll ich machen, jetzt wo Onkel Hermann nicht mehr da ist.«
»Ja, ja, der Hermann, der war immer so ein Glückskind. Einfach umgekippt und fertig.«
»Aber zuletzt ging es ihm doch nicht besonders gut, oder?«
»Der kam die Treppen kaum noch hoch und hatte Malästen mit dem Blutdruck und manchmal so ein Rauschen im Ohr. Alles von der Singerei früher!«
»Aber du hast immer gerne zugehört.«
»War ja auch schön. Ich sag ja nur. Der Hermann hatte immer Angst, dass er mal einen Schlaganfall kriegt. Er hat von irgendjemandem gehört, der auch immer ein Rauschen in den Ohren hatte, und der ist irgendwann umgekippt und mit dem Kopf auf die Kante vom Wohnzimmertisch geknallt, und der hat dann tagelang in seinem Blut gelegen, bis sie ihm die Tür aufgebrochen haben.«
Ein paar Stunden hat Onkel Hermann schon dagelegen, bis einer seiner Skatbrüder vorbeikam, um ihn für die wöchentliche Runde abzuholen, und der Hermann nicht aufgemacht hat, hat Omma Luise letzten Dienstag am Telefon erzählt.
»Na ja«, sagt Omma Luise. »Andere liegen Monate inihrer Bude, und keiner sagt was, obwohl das ganze Haus schon am Stinken ist. Ist wirklich ein Glückskind gewesen, der Hermann.«
»Und
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