Sommerfest
raus und den Rest der Zeit am Bahnhof totschlagen, und da heben Toto und Diggo die Gläser, Toto sagt: »Wie kommen wir zusammen? Strahlenförmig!«, undDiggo sagt, er soll mal mit dem dämlichen Gelaber aufhören, das könne sich ja keiner mehr anhören, diese asbachuralten Sprüche, und wenn nicht Stefan zwischen den beiden stehen würde, bekäme Toto jetzt wieder was an den Hinterkopf. Wenigstens sind sie Diddi losgeworden, der einen Anruf bekommen hat, der ihn, sogar für seine Verhältnisse, extrem aufgeregt hat. Irgendwo in Dortmund gab es eine Krise, die nur er beilegen konnte.
»So, und jetzt«, sagt Diggo zu Stefan, »erklärst du uns noch mal, wieso du dein Elternhaus verscheuern willst.«
»Na ja«, antwortet Stefan und weiß sofort, dass seine Antwort nicht das ausdrücken wird, was ihm durch den Kopf geht, »ich lebe nun mal in München, und was soll ich mit einem Haus hier? Mal abgesehen davon, dass ich das Geld ganz gut gebrauchen könnte, schließlich haben sie mir den Vertrag nicht verlängert, und …«
»Was?« Diggo hebt die Brauen. »Die haben dich rausgeschmissen?«
»Die haben mir den Vertrag nicht verlängert.«
»Wer?«
»Das Theater, an dem ich die letzten Jahre engagiert war.«
»Wie lange warst du da?«
»Zehn Jahre.«
»Ist doch ’ne Sauerei!«
»Aber voll!«, sekundiert Toto.
»So was kommt vor«, meint Stefan.
Diggo trinkt und denkt. »Andererseits war es auch nur Theater, was?«
»Wieso nur?«
»Na, Theater ist doch nix! Da fragen die Leute, was du bist, und du sagst Schauspieler, und dann fragen die, obman dich kennen muss. Ist doch scheiße! Wenn du richtig was gerissen hättest, würden die Leute nicht fragen, sondern würden dich kennen.«
»Viele große Theaterschauspieler waren keinem größeren Publikum bekannt. Weil sie keine Filme gemacht haben.«
»Aber den Vertrag haben sie schon verlängert gekriegt, oder?«
»Äh, ja, schon.«
»Und was machst du jetzt?«
»Morgen früh habe ich ein Vorsprechen, für eine Fernsehserie.«
»Was denn? Tatort oder so?«
»Irgendwas am Vorabend.«
Diggo ist nicht begeistert. »Das ist doch Dreck, Stefan! Meine Perle in Eving würde so was den ganzen Tag gucken, und ich sag dir, wenn die das guckt, kann das nur scheiße sein.«
Die Tür geht auf, zwei Männer kommen herein. Es sind zwei der drei, die gestern Morgen bei Diggo im Schrebergarten waren, als Toto und Stefan den Schrank vorbeigebracht haben. Der eine trägt noch immer das karierte Hemd mit den abgeschnittenen Ärmeln, der andere ein schwarzes T-Shirt mit verwaschener roter Rolling-Stones-Zunge. Da es unwahrscheinlich ist, dass die beiden sich diesmal vorstellen werden, tauft Stefan sie bei sich Karo und Stones. Gestern hießen sie in Stefans Kopftheater noch Zopf und die Bäuche.
Diggo fängt an, mit den beiden über irgendeinen Libanesen zu reden, der Mist gebaut hat, Toto mischt sich ein und kriegt diesmal von Stones was an den Hinterkopf, aber da schreitet Diggo ein, hebt gleichzeitig die Augenbrauenund einen Zeigefinger, sodass Stones zurückschreckt, als hätte Diggo ihm eine verpasst. Toto zu drangsalieren, das ist Chefsache, da mischt sich keiner ein, und weil das alles das Potenzial hat, maximal zu langweilen, rutscht Stefan vom Barhocker und geht zur Toilette.
Auf dem Weg vibriert das Telefon in seiner Hosentasche, und Stefan nimmt es heraus. Zwei Anrufe in Abwesenheit. Der Makler!, schießt es ihm durch den Kopf. Ich habe den Makler schon wieder vergessen. Das ist jetzt natürlich schon ziemlich blöd, denkt er. Andererseits habe ich das Thema damit für heute erst mal vom Hals. Man muss es positiv sehen. Mit drei, vier Bier intus fällt einem das leichter.
Die Toilette ist so eine richtig alte Eckkneipentoilette, mit gelblichen Fliesen an den Wänden und einem rot-grauen Fliesenkaro auf dem Boden, zwei Pissoirs an der Wand, einer Kabine und einem kleinen Waschbecken. Daneben hängt ein Händetrockner, was schon so etwas wie ein Zugeständnis an moderne Zeiten ist, früher bot sich hier ein graues Geschirrtuch an, von dessen Anblick einem schlecht wurde.
Während er pinkelt, starrt Stefan auf das vergitterte Fenster über ihm und stellt sich vor, wie es wäre, Anka hier mit dabeizuhaben. Während er so dasteht, überkommt ihn eine so plötzliche und so unerwartete Sehnsucht, dass er die Stirn an die Kacheln legt und die Augen schließt. Anka, denkt er, hat sich immer Mühe gegeben. Und sie hat Geduld, kann so zärtlich sein und das alles. Also,
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