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Sommergewitter

Sommergewitter

Titel: Sommergewitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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kopfsteingepflasterte Marktplatz menschenleer. Der Ort wirkte komplett ausgestorben. Nur das summende Geräusch meines Trafos war zu hören, als ich an dem alten, angestrahlten Rathaus vorbei auf den Bahnhof zufuhr. Vor dem Eingang stand ein Polizeiwagen, aber das musste nichts bedeuten, der stand öfter mal da.
    Ich ließ mich durch die Unterführung rollen, bog hinter dem Bahnhof in die Schulstraße ein. Das Mofa parkte auf der Seite des Bahnhofs, aber das konnte mich nicht ablenken. Rüdiger war hundertprozentig nicht mit dem Zug fortgefahren. Er musste die Straße überquert, den Weg über das Brachgelände neben dem neuen Einkaufsmarkt genommen und zur alten Grundschule gegangen sein.
    Das Gebäude stand seit Jahren leer und sollte abgerissen werden, aber da die Stadt bisher keinen Investor für das Gelände gefunden hatte, stand unsere ehemalige Grundschule nun mit eingeschlagenen Fenstern und aufgebrochenen Türen da und verfiel von Tag zu Tag mehr.
    Ich schob mein Rad über den zuwachsenden Schulhof, stolperte über Risse in den Asphaltplatten, wundertemich, dass die Torwand noch stand. Für Kinder war das Gelände ein genialer Abenteuerspielplatz. Auch Rüdiger hing an diesem Ort. Wenn er sich irgendwo versteckt hielt, dann hier.
    Ich lehnte mein Rad an einen Baum, überlegte, ob ich es abschließen sollte, ließ es aber bleiben. Es konnte ja auch sein, dass Rüdiger gar nicht hier war und ich mich mal wieder geirrt hatte. Dann würde ich gleich wieder fahren. Oder aber er war hier und ich hatte mich geirrt, was seine Unschuld anging. Dann müsste ich flüchten können. Schnell.
    Ich zögerte. Konnte ich mich auf mein Gefühl verlassen?
    So viele Dinge sprachen gegen Rüdiger.
    Ich ging ein Riesenrisiko ein.
    Leise näherte ich mich dem Gebäude. Der Flur wirkte dunkel und Furcht einflößend. Mein Herz schlug schnell, als ich die Tür aufstieß. Sie knarrte. Es stank. Unter meinen Schuhsohlen knirschten Glassplitter. Sehen konnte ich nur das Nötigste: das ausladende Treppenhaus, die Gänge rechts und links zu den Klassenräumen, die breiten Schriftzüge auf den Wänden. Einer lautete:
Jonas, I love you forever! Yasmin.
    Als ich das las, konnte ich nicht anders, ich musste einfach laut lachen. Es tat so gut, an Yasmin zu denken! An ihr Wimpernklimpern und Wangenküssen, ihr portugiesisches Fluchen, ihr Hinternwackeln, ihr lila Kleid.
    »Was machst du denn hier?!« Rüdiger polterte plötzlich die Treppe herunter. »Hau ab, ich will keinen von euch sehen!«
    »Da steht: Yasmin ist in Jonas verknallt.«
    »Ja und? Kennst du jemanden, der nicht in euren Supermann verknallt ist?«
    »Ja.« Ich lachte immer noch. »Mich. Und wirklich super find ich ihn auch nicht.«
    »Annika, was willst du? Hast du keine Angst, dass ich gleich über dich herfalle wie über die arme kleine Ginie?!«
    Mein Lachen hörte schlagartig auf.
    »Eigentlich nicht, sonst wär ich nicht hier. Ich will endlich von dir wissen, was passiert ist. Wir waren schließlich mal Freunde.«
    »Hahaha!« Jetzt lachte Rüdiger. »Meine
besten Freunde
verdächtigen mich, einem Mädchen was getan zu haben! Das muss man sich mal vorstellen!« Dann fügte er mit leiserer, wuterstickter Stimme hinzu: »Gerade schalte ich mein Handy ein und meine Mutter ruft an. Sie muss die ganze Zeit schon versucht haben, mich zu erreichen, war völlig aufgelöst, wollte immer nur wissen, ob ich
es getan
hätte. ›Was?‹, hab ich gefragt. ›Was soll ich getan haben?‹« Er drehte sich um und stürmte die Treppen in den ersten Stock hinauf. Die letzten Worte schrie er. »Hau ab!«
    Langsam stieg ich die Stufen hinauf. Oben waren noch mehr Scheiben eingeschlagen und das Flutlicht vom Supermarkt schien in die Räume. Rüdiger saß auf dem Fußboden eines Klassenzimmers, hatte den Kopf an die Wand gelegt und die Augen geschlossen. Über ihm sah man noch die Verfärbungen an der Wand, an der früher mal die Tafel gehangen hatte. Neben ihm auf dem Boden standen zwei Flaschen Bier und eine halb leere Schachtel Pommes frites.
    »Darf ich?«, fragte ich und setzte mich neben ihn, ohne auf eine Antwort zu warten. Er schwieg.
    Ich sah mich im Raum um. Er war mindestens genauso verwüstet wie der Eingangsbereich, aber auf der uns gegenüberliegenden Wand konnte man noch die Reste eines Landschaftsbildes erahnen, das die Schüler irgendwann mal an die Wand gepinselt hatten. Es zeigte Kinder, die ausgelassen an einem Seeufer spielten und badeten, über ihnen lachte eine gelbe Sonne

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