Sommergewitter
beschuldigen Rüdiger doch nicht«, sagte mein Vater verlegen, »wir kennen ihn doch auch schon so lange, Margret.«
Sie schluchzte laut. Das zu hören tat mir weh. Ich mochte Rüdigers Mutter gern. Sie war eine sanfte, stille Frau, die Einzige in unserer Siedlung, die aus ihrem Garten ein richtiges kleines Naturparadies mit Gartenteich und Wildblumenwiese geschaffen hatte, und im Winter fütterte sie liebevoll die Vögel. Ich fand es unfair, sie jetzt so zu überfallen. Sie hatte keine Chance, ihren Sohn zu verteidigen.
Auch mein Vater musste das so sehen, er erklärte: »Margret, das tut uns ja auch alles schrecklich leid. Aber wir sind ja nur deshalb so aufgebracht, weil Rüdiger mit seinen Falschaussagen unsere Suche behindert.«
Daraufhin meldete sich zum ersten Mal Rüdigers Vater zu Wort: »Das macht er bestimmt nicht absichtlich. Lügen erzählen! Das ist doch überhaupt nicht seine Art. Bei uns hat er das jedenfalls noch nie gemacht.« Rüdigers Vater sah zu Jonas herüber, der mittlerweile hinterhergeschlichen war. »Jonas, du bist doch sein bester Kumpel. Sag du doch mal was! Du weißt doch, dass Rüdiger kein schlechter Kerl ist.«
Jonas wich verschüchtert seinem Blick aus. »Tut mir leid, aber ich weiß auch nicht, was mit ihm los ist. Es ist schon komisch, ich . . .«
»Komisch?«, rief Rüdigers Vater ungläubig.
»Ja, nein, ich weiß auch nicht . . .« Jonas wand sich. »Es tut mir leid.«
Rüdigers Vater starrte ihn an.
Ich fragte Jonas: »Mehr fällt dir nicht ein?«
Er antwortete nicht.
Auf einmal sah ich ihn in einem ganz anderen Licht: Jonas war gar nicht der starke, bewundernswerte Traumtyp, für den ich ihn immer gehalten hatte. Er hatte einfach Glück gehabt, er und seine Schwester waren Wunschkinder, die Eltern hatten viel Geld und interessante Berufe, die sie ausfüllten. Er sah gut aus, war intelligent und selbstbewusst, konnte sich alles leisten. Aber nun stand er da wie ein begossener Pudel. Er verteidigte Rüdiger, seinen besten Freund, mit keinem Wort. Auch wenn so viel gegen Rüdiger sprach, auch wenn Jonas sich mitschuldig an der ganzen Sache fühlte – er hätte doch zu ihm halten müssen!
Die Gruppe löste sich auf. Rüdigers Eltern zogen sich ins Haus zurück. Mein Onkel und mein Vater stiegen in den Polizeiwagen. Alexa und Florian trafen Freunde auf der Straße und verbreiteten die Neuigkeiten. Jonas, Steffi und ich waren allein und schlugen schweigend den Fußweg zu unserem Haus ein.
»Wartet einen Moment«, sagte ich. »Wir müssen Rüdiger finden. Wir sind seine Freunde, wir bringen ihn vielleicht zum Reden.«
Steffi gab ein Schnauben von sich, schüttelte den Kopf, ging weiter. »Er lügt doch eh nur.«
»Ich halte mich jetzt da raus«, sagte Jonas. »Ich habe ihn zwei Mal angesprochen, als wir Ginie im Wald gesucht haben. Zwei Mal hat er mir versichert, er sei nicht zu ihr gegangen. Mehr kann ich nicht machen! Ich weiß nicht, wo er jetzt sein könnte, und ich will esauch nicht wissen. Den Mist hat er sich selbst eingebrockt.«
»Du hast ihm aber gesagt, er sollte mal ’n bisschen aktiver werden!«
»Ja und?!« Jonas blieb so abrupt stehen, dass ich fast gegen ihn prallte. »Was meinst du, wie ich das bereue? Aber mit ›aktiver werden‹ meinte ich doch nicht, dass er sie auf der Stelle flachlegen und abstechen soll!«
»Jonas!«, flüsterte Steffi, entsetzt über seine Ausdrucksweise.
»Was denn?!«, fauchte Jonas wütend. »Das denkst du doch auch die ganze Zeit! Du warst doch die Erste, die das gedacht hat! Warum darf ich nicht mal offen sagen, was Sache ist? Deine verdammte Verklemmtheit hängt mir zum Hals raus! Bevor man dich mal küssen darf, muss man dir ja erst ein Heiratsversprechen geben. Kein Sex vor der Ehe, es sei denn . . . hopsa!«
»Du bist ein Arschloch, Jonas!« Steffi sah ihn hasserfüllt an.
»Ja, klar doch, Steffi. So behandelst du mich ja auch die ganze Zeit! Was habe ich dir getan, hm? Du wolltest es doch auch! Du fandest es doch auch schön und hast mitgemacht. Was kann ich dafür, dass Rüdiger so ein Idiot ist? Meinst du, für mich war das eine angenehme Situation? Glaubst du, als Junge hätte ich keine Gefühle?!«
»Jedenfalls hast du anscheinend keine Gefühle mehr für mich. Yasmin scheint ja jetzt deine Perle zu sein!«
»Sie ist jedenfalls ehrlicher und netter als du!«
Steffi schossen die Tränen in die Augen. »Du bist gemein.«
»Ach, ich bin gemein? Wer hat mich denn wie ein Stück Dreck behandelt und wollte
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