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Sommergewitter

Sommergewitter

Titel: Sommergewitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Diese alten Leute hatten doch nichts anderes zu tun, als sich irgendwelchen Schwachsinn auszudenken!
    Die Frau ergriff den Arm ihres Mannes. »Hans, komm, lass das Mädchen in Frieden. Wir gehen rein.«
    »Ja, ja, an solche Sachen will man nicht erinnert werden, stimmt’s?«, wetterte der Mann, bevor er von seiner Frau fortgezogen wurde. »Auch die soliden Senkels haben ihre Leiche im Keller, nicht wahr?!«
    Ich stutzte, sah ihm nach. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Er kannte meinen Namen. Er verwechselte mich nicht. Er redete nicht einfach irgendwas daher.
    Aber das müsste ich doch wissen! Aus unserer Familie jemand verschwunden? Höchstens mein Hamster, der aus seinem Käfig getürmt und wahrscheinlich von Meiers Katze gefressen worden war.
    Vergiss es, Annika!
    Ich machte mich auf den Heimweg. Eine Leiche im Keller! Lächerlich! Etwa einen toten Goldhamster? Was meinte der Mann? Wer sollte denn verschwunden sein, ich vermisste niemanden außer Ginie!
    Vor mir tauchte unser Haus auf. Alle Fenster waren erleuchtet. Auf den letzten Metern wurde ich langsamer,strich an der Ligusterhecke entlang, die unser Grundstück begrenzte, hob einen vom Sturm abgerissenen Zweig vom Bürgersteig auf, riss die Blätter aus.
    In unserer Einfahrt parkte der Polizeiwagen. Hinter ihm, in der Dunkelheit, standen die drei Fahrräder. Steffi und Jonas hatten ihre noch nicht abgeholt, Ginies war wohl noch immer im Wald beim See.
    »Wollte sie nicht an den See?« Warum hatte meine Mutter das gefragt, als sie uns im Auto angerufen hatte?
    Ich näherte mich dem Haus. Aus dem auf Kipp stehenden Küchenfenster drangen laute Stimmen. Ich musste einfach lauschen, es ging nicht anders.
    ». . . mit den Mädchen offen sprechen müssen, Paul! Ich wollte das die ganze Zeit schon tun, wenn du nicht gesagt hättest . . .« Das war meine Mutter.
    »Mein Gott, Katrin, das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun! Komm mir jetzt nicht mit den alten Geschichten! Die einzige Gemeinsamkeit hier ist, dass mir dieser verdammte Ort, dieses verdammte Baggerloch Unglück bringt. Ich hätte nicht zurückkehren sollen, und wenn du mir nicht immer gesagt hättest, dass ich herkommen und Ginie zu euch bringen soll, dann hätte ich das auch nicht getan!« Das kam von meinem Onkel.
    »Sind Sie denn sicher, dass Ihre Tochter nichts von diesen Zusammenhängen weiß?«, fragte eine fremde Stimme, wahrscheinlich die eines Polizisten.
    »Hundertprozentig!«, fuhr mein Onkel auf. »Hätte ich sie sonst mitgehen lassen?«
    Schweigen. Ein Telefon klingelte, eine Tür wurde geschlossen, jemand schnäuzte sich die Nase. Ich lehntemich mit klopfendem Herzen an die Mauer des Hauses. Die Steine waren angenehm kühl und feucht, ein Nachtfalter flog direkt vor meinen Augen vorbei und hinterließ mit seiner zarten Berührung ein Kribbeln auf meinem Gesicht.
    »Annika Senkel«, flüsterte ich   – es war mir in diesem Moment wichtig, meinen Namen auszusprechen   –, »offenbar bist du dein Leben lang mit Scheuklappen vor den Augen in der Welt herumgelaufen. Zumindest scheint es seit Ginies Verschwinden nur noch Dinge zu geben, von denen du nichts weißt.«
    Ein paar Minuten stand ich so, enttäuscht, traurig, untröstlich. Auch meine Eltern waren also nicht so ehrlich, wie ich geglaubt hatte. Sie hatten mir nicht alles gesagt. Etwas ganz Wichtiges hatten sie mir vorenthalten.
    Die Stimme der jungen Polizistin drang aus dem offenen Fenster: »Walter, ich hör gerade, wir haben das Mofa von diesem Jungen entdeckt. Es steht in der Schulstraße, gleich hinterm Bahnhof. Von ihm selbst keine Spur. Vielleicht ist er wirklich getürmt. Hat den erstbesten Zug in die Niederlande genommen.«
    »Hältst du das für wahrscheinlich? Du kennst doch den Bruder und die Familie.«
    Was die Polizistin über Rüdigers Verhalten dachte, erfuhr ich nicht. Es war mir egal. Ich hatte genug gehört. So leise wie möglich zog ich mein Fahrrad zwischen denen von Jonas und Steffi hervor.
    Es war ein Trost, dass es auch Dinge gab, die ich besser wusste als meine Eltern und die Polizisten. Wenn Rüdigers Mofa in der Schulstraße hinterm Bahnhofstand, dann war sonnenklar, wo er sein musste. Ich stieg auf mein Rad. Bevor ich losfuhr, hörte ich drinnen meine Mutter fragen, ob jemand wisse, wo ich eigentlich sei.
    »Die hat doch ihre Freunde, macht euch jetzt nicht auch noch wegen Annika verrückt!«, sagte mein Vater, aber da lag er falsch: Die alte Clique gab es nicht mehr.
     
    Um diese Zeit war der

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