Sommergewitter
nicht mehr mit mir reden?«
»Hört auf zu streiten«, schritt ich ein. »Steffi hatte ihre Gründe.«
»Welche Gründe denn, bitte schön?«
»Es reicht! Wir haben andere Probleme!«
»Wir hören dann auf, Annika, wenn wir wollen!«, rief Steffi. »Du musst nicht schon wieder Streitschlichtung machen! Wir sind hier nicht in der Schule, Frau Oberschlau! Wir brauchen dich nicht als Mutterglucke, wir kommen gut ohne dich klar!«
»Ach ja? Und wegen Florian brauchst du mich auch nicht, nein?«, schoss ich zurück. Ich war in Rage, ich war verletzt und achtete nicht auf meine Umgebung, die Lautstärke meiner Stimme. »Zu mir kommst du, um dich auszuheulen, weil Florian dich betatscht hat, mir jammerst du was vor, aber dass ich was dagegen machen könnte, ist dir auch nicht recht!«
»Was? Wen soll Florian betatscht haben?«, schrie eine Stimme hinter mir.
Entsetzt drehte ich mich um. Alexa, Florian und die Freunde, mit denen sie gesprochen hatten, waren herangekommen. Auch die Nachbarn, vor deren Garten wir standen, hatten sich neugierig von ihren Terrassenstühlen erhoben.
Steffi spuckte Gift und Galle. »Du solltest es für dich behalten!«, fauchte sie, während gleichzeitig Tränenbäche über ihre Wangen liefen. Dann stürzte sie davon.
Alexa rannte ihr nach. »Ste-fa-nie!«, schrie sie. Die Silben klangen wie Peitschenhiebe, unter denen Jonasund ich zusammenzuckten. Er setzte sich auf eine niedrige Grundstücksmauer, verbarg den Kopf in den Händen. Ich stand da, hilflos, und mein Blick traf den Florians.
»Durchgedrehte Weiber«, sagte er. »Kaum kommt eine von diesen Zicken mal ein paar Stündchen nicht nach Hause, schon flippen die anderen aus und sehen überall Gespenster!
Gut, dass wenigstens du vernünftig bist, Annika. Du bleibst auf dem Teppich, du gehst immer straight auf dein Ziel zu.«
»Ja«, sagte ich langsam und dann tat ich etwas, das ich nicht überlegt, nicht beabsichtigt und noch nie in meinem Leben gemacht hatte: Ich scheuerte ihm eine.
Das war der Moment, in dem alles zusammenbrach.
Freitag, 22.40 Uhr
»Spinnst du, oder was?« Florian brüllte, ballte die Fäuste.
»Was ist mit euch los? Ist euch die Hitze aufs Hirn geschlagen? Dreht ihr jetzt durch? Was soll das Gequatsche, ich hätte Steffi angemacht? Nichts hab ich! Ich bin schließlich mit Lexi zusammen! Mann, sucht diese blöde Kuh doch alleine!« Er drehte sich um, ließ uns stehen, stapfte fluchend in die Richtung, in die Alexa und Steffi gelaufen waren.
Ich sah ihm nach, stumm und selbst noch ganz überrascht von dem, was ich getan hatte. Seine Freunde standen noch einen Moment zusammen und tuschelten, dann folgten sie ihm.
Jonas, der mich mit großen Augen angestarrt hatte, erhob sich langsam von der Mauer. »Ich glaub, ich geh nach Hause. Ich muss das alles erst mal verdauen.«
»Und was ist mit Ginie und Rüdiger? Wollen wir sie nicht suchen?«
»Wir?« Jonas schüttelte den Kopf. »Nein, das überlass ich anderen. Ich tue hier heute gar nichts mehr. Ich hab das Gefühl, ich mache alles falsch.«
»Jonas, jetzt hau du nicht auch noch ab, bitte!«
Er zuckte die Achseln. »Sorry.«
Ich stand plötzlich allein auf der Straße. Nur der Nachbar und seine Frau guckten noch rüber, enttäuscht, dass das Schauspiel schon wieder zu Ende war.
Am liebsten wäre ich auch weggelaufen, hätte mich irgendwo versteckt und geweint. Gleichzeitig aber hatte die Ohrfeige bei mir etwas verändert. Ich war stolz auf mich. Ich war mutig und stark. Ich war kein Landei und keine Glucke. Ich war Annika Senkel und sie würden mich jetzt alle kennenlernen. Sie sollten sich in Acht nehmen mit dem, was sie mir an den Kopf warfen. Ich würde mich schon zu wehren wissen. Ich würde meine Cousine schon finden.
»Ach, das arme Mädchen!«, sagte die Nachbarin mitfühlend.
Ich wusste nicht, ob sie damit mich oder Ginie meinte, nur dass mich ihr mitleidiger Tonfall auf keinen Fall zum Weinen verführen durfte. Ich war kein armes Mädchen. Ich nicht. Ich fuhr mir mit beiden Händen durchs Gesicht, massierte es, dachte nach.
»Wo, sagt ihr, ist die Kleine verschwunden, am Silbersee?«
Ich nickte automatisch, sie würde es sowieso erfahren.
»Ist aus eurer Familie nicht schon mal jemand da verschwunden?«
»Nein!« Fast hätte ich gelacht.
»Aber sicher«, mischte sich der Mann ein. »Das hat dein Opa mir damals noch selbst erzählt! Das sollte möglichst keiner wissen, weil das ja nicht so ’ne feine Sache war.«
»Was?«, rief ich.
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