Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
der Polizeiwache an der Bernauer Straße, wo Konrad laut Andine den Hund abgegeben hatte. Die Rundmail, die Konrad ungefähr zur selben Zeit herumschickte, konnte mit dem Tempo der beiden nicht mithalten.
Absender: Konrad Volkmann.
Uhrzeit: 10:29.
Betreff: Paula
Schröders Hund ist jetzt bei der Polizei und wird von dort bald ins Tierheim gebracht. Wenn irgendwer jemanden kennt, der Paula adoptiert, hole ich ihn sofort zurück. Ansonsten bitte ich um Zurückhaltung mit unverbindlichem Gutmenschentum.
Wolles schwarzer Mischling quietschte wie eine schlecht geölte Metalltür und scharrte mit den Krallen über den PVC -Boden der Polizeiwache Abschnitt 15 an der Eberswalder Straße. Dann sackte er in sich zusammen. Paula, die, als wir gerade auf dem Weidenhof eingezogen waren, einfach nicht davon abzuhalten gewesen war, sich vor lauter Lebensfreude Hals über Kopf in die frisch ausgehobenen Gräben mit der milchkaffeebraunen Fäkalbrühe zu stürzen, machte, sofern man das über einen Hund sagen konnte, einen manisch depressiven Eindruck, harrte, angebunden an ein Schreibtischbein, ihres Abtransports ins zentrale Tierheim Berlin-Falkenberg und ging den Polizisten sichtlich auf die Nerven. Es lag in der Luft, dass der Hund jeden Augenblick von einem ausrastenden Cop geschlagen werden könnte. Jedenfalls brachen nicht nur der Hund, sondern auch die Beamten in Begeisterung aus, als Simone auf dem Präsidium erschien, um Paula vor einem Lebensabend in Gefangenschaft zu retten. Eins musste Simone nur vorab noch versprechen, darauf legte der Polizeihauptwachtmeister besonderen Wert, nämlich, dass sie diesen Köter auch ganz bestimmt nicht wieder zurückbrachte. Nach diesem wenig feierlichen Gelöbnis führte Simone Paula an der Leine ins Freie.
Das allgemeine Schwanzwedeln über die Entlassung aus dem Polizeigewahrsam war unterdessen nicht von großer Dauer, weil der Hund in Simones und meiner Obhut fortwährend von dem kleinen Gustav am Schwanz gezogen wurde. In unserer Stadtwohnung hatte das Tier keine Chance, dem noch empathieunfähigen Zweijährigen zu entkommen. Selbst Simone musste bald einsehen, dass man diese Qualen keinem Hund – und schon gar nicht einem trauernden Hund – antun konnte, und brachte Paula nach zwei Tagen der Folter zu einer entfernten hundevernarrten Bekannten. Bedauerlicherweise verliebte sich diese Mutter Theresa für Vierbeiner alsbald via Internet in einen kanadischen Mann und wanderte Hals über Kopf nach Vancouver aus. So verlor sich auch die Spur von Paula. Ob Paula ihren Lebensabend an der Pazifikküste verbrachte oder als Opfer der neuen Unverbindlichkeit doch noch in Falkenberg gelandet war, haben wir nie erfahren.
Mehr noch als unverbindliche Gutmenschen, die schnell mal auf den Hund kamen und ebenso rasch wieder davon ab, brachte es Konrad zur Raserei, dass hier ein Mensch über die Klinge der Zweiklassenmedizin gesprungen war. Nach zähem Ringen mit dem Kreiskrankenhaus hatte Andine noch in Erfahrung bringen können, dass Wolle anscheinend einem Bauchspeicheldrüsenleiden erlegen war. Einer Erkrankung, die man durchaus hätte erkennen können und müssen , wie ein befreundeter Arzt bestätigte.
»Den alten Brummifahrer schicken sie mit einem offensichtlichen Bauchspeicheldrüsenproblem wieder nach Hause«, wetterte Konrad. »Den privat versicherten Spediteur hätten sie sicher mit Kusshand dabehalten.«
Nicht zuletzt musste man auch mal an die Landwirtschaft denken und damit an Bauer Plietsch. Auch der hatte den guten Geist seines Großagrarbetriebs verloren. Es war nicht zu leugnen: Nach einem Sommer, in dem wir die Porzellanenten hatten fliegen lassen, erhielt mit dem Herbst auch eine Vorstellung vom Ernst des Landlebens auf dem Weidenhof Einzug. Die zu Zechliner Zeiten angeleierte und hochtourig drehende Selbstvergewisserungsmaschine, dass es mehr als angemessen und total Avantgarde sowieso sei, sich neben dem Leben in der Stadt, die so viele Menschen anzog, noch eine Landzuflucht zu leisten, bekam eine spürbare Unwucht: Nicht nur, dass die Landflucht inzwischen nicht mehr ganz so Avantgarde war – alle Welt legte sich mittlerweile eine Datsche im Brandenburger Umland zu –, vielmehr rückte nun an die Stelle unserer kindlichen Begeisterung für die Mission »Sommerhaus jetzt!« ein fragender, teils grübelnder Blick in die Zukunft. Sicher hatte auch die Tatsache, dass mit Olli und Jana sowie Konrad und Andine zwei weitere Weidenhofpaare Nachwuchs erwarteten, ihren Teil
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