Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
Haus zu sein, bevor ihr Vater aufwachte. Das Rentnerdasein bekam ihm nicht. Er war als Vater eigentlich ganz annehmbar gewesen – bevor Mom ihn verlassen hatte, bevor er angefangen hatte zu trinken und diese Fahrten nach Atlantic City und Gott weiß wohin zu machen.
In der Küche traf sie auf ihren Bruder Ren, der mit seiner Pfeife in der Hand am Tisch saß. Er trug nichts als eine gammelige Jeans; seine blonden Haare hingen ihm ins Gesicht und er wirkte entspannt und freundlich. Manchmal war er es sogar auch.
Er schaute hoch und schenkte ihr ein engelsgleiches Lächeln. »Willst du mal ziehen?«
Sie schüttelte den Kopf und öffnete auf der Suche nach einer einigermaßen sauberen Tasse den Schrank. Fehlanzeige . Sie nahm eine Dose Cola aus dem Gemüsefach im Kühlschrank. Nachdem Ren mal eine Flasche mit seinem Stoff versetzt hatte – und sie damit ausgeknockt hatte –, achtete sie darauf, nur aus noch verschlossenen Behältnissen zu trinken.
Ren saß in seiner Drogenwolke und lächelte auf eine perverse Art selig. Wenn er gut gelaunt war und nur Gras rauchte, war es ein guter Tag. Ren auf Gras machte keine Probleme. Gras entspannte ihn. Aber wenn er irgendwas anderes genommen hatte, war er unberechenbar.
»Da drüben sind Chips, wenn du was frühstücken willst.« Er zeigte auf eine fast leere Tüte mit Tortilla-Chips auf der Anrichte.
»Danke.« Sie nahm sich eine Handvoll und öffnete den Gefrierschrank, um die Waffeln, die sie dort versteckt hatte, herauszunehmen und zu toasten. Sie waren weg. Sie klappte die Schranktür auf und holte die Packung mit dem einzigen Nahrungsmittel heraus, das ihr Bruder nicht mochte – Vollkornmüsli. Es schmeckte widerlich; aber da er von gesunden Sachen die Finger ließ, hatte sie sich davon einen Vorrat angelegt.
Sie kippte das Müsli in eine Schüssel.
»Ist keine Milch mehr da«, murmelte Ren mit geschlossenen Augen.
Leslie ließ sich leise seufzend mit ihrem trockenen Müsli am Tisch nieder. Nur kein Streit. Kein Ärger. Wenn sie zu Hause war, hatte sie immer das Gefühl, auf einem Hochseil zu balancieren und auf den Windstoß zu warten, der sie zu Boden riss.
In der Küche roch es stark nach Gras. Sie erinnerte sich an Zeiten, in denen sie vom Duft nach Eiern und Frühstücksspeck aufgewacht war, Dad frischen Kaffee aufgebrüht hatte und alles noch normal gewesen war. Aber so war es schon seit über einem Jahr nicht mehr.
Ren legte seine nackten Füße auf den Tisch, der völlig zugemüllt war – mit Wurfsendungen, unbezahlten Rechnungen, schmutzigem Geschirr und einer fast leeren Flasche Bourbon.
Während des Essens riss sie die wichtigsten Rechnungen auf – die für Strom und Wasser. Erleichtert stellte sie fest, dass ihr Dad sie beide im Voraus bezahlt hatte. Das tat er gelegentlich, wenn er eine Glückssträhne beim Spielen hatte oder ein paar Tage nüchtern war; dann leistete er Extrazahlungen, damit es später keinen Ärger gab. Was die Lebensmittelrechnung und das Kabelfernsehen anging, half das jedoch auch nicht weiter, denn die waren beide überfällig. Wenn es sein musste, konnte sie sie auch aus eigener Tasche bezahlen.
Aber diesmal nicht. Sie hatte beschlossen, es endlich durchzuziehen, sich endlich ein Tattoo stechen zu lassen. Das wollte sie schon lange, aber sie hatte sich noch nicht bereit gefühlt. Seit ein paar Monaten war sie jedoch geradezu besessen von dem Gedanken. Sie dachte andauernd daran, wie es sein würde – ihrem Körper eine Signatur zu geben und ihn so zu ihrem Eigentum zu machen; sie musste es tun, um sich wieder ganz zu fühlen.
Jetzt muss ich nur noch das richtige Motiv finden.
»Kannst du diesmal das Kabelfernsehen bezahlen?«, fragte sie Ren mit einem betont freundlichen Lächeln.
Er zuckte die Achseln. »Vielleicht. Was bietest du mir denn dafür?«
»Ich handele nicht mit dir. Ich will einfach nur wissen, ob du diesen Monat die Rechnung übernimmst.«
Er zog lange an seiner Pfeife und blies ihr dann den Rauch ins Gesicht. »Nicht, wenn du dich so zickig anstellst. Ich hab auch Ausgaben. Wenn du mir nicht ab und zu einen Gefallen tun kannst, indem du nett zu meinen Freunden bist« – er zuckte die Achseln –, »dann zahl’s doch selbst.«
»Weißt du was? Ich brauch kein Fernsehen.« Sie ging zum Mülleimer, ließ die Rechnung hineinfallen und kämpfte gegen die Übelkeit an, die die Worte »nett zu meinen Freunden« schlagartig in ihr ausgelöst hatten. Sie wünschte sich, irgendjemanden in ihrer
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