Sommermaerchen
Das heißt, sie wäre zu sehen gewesen, wenn die Tapete nicht direkt über den Schultern der Nymphe abgeschnitten und das Feenwesen somit geköpft worden war. Kurz fragte sich Beatrice, ob es sich dabei um einen Zufall handelte, entschied aber sogleich mit finsterer Miene, dass es ganz sicher Absicht war.
Sie drehte das Papier um und las:
B.
Meinen Beifall für Deinen Geschmack. Gewiss hast Du lange nach einer solch prächtigen Tapete suchen müssen. Leider bin ich letzte Nacht wohl schlafgewandelt, denn als ich aufwachte, hing sie bedauerlicherweise nur noch in Fetzen an den Wänden. Zu schade.
Ich habe die Arbeiter beauftragt, den Schaden zu reparieren. Sie werden die Wände wieder blau streichen und auch einige andere Änderungen vornehmen. Bitte mische Dich nicht ein. Dieses Stück Tapete sende ich Dir als Andenken.
C.
Erzürnt knüllte Beatrice das Papier zusammen und warf es in eine Schublade, die sie mit lautem Knall schloss. Dann setzte sie sich an ihren Frisiertisch und betrachtete sich im Spiegel.
Sie sollte nicht verärgert sein – was hatte sie denn erwartet, wie er reagieren würde?
Sie hatte selbst nicht geglaubt, dass die Tapete länger als einen Tag an der Wand blieb.
Allerdings hatte er ihr die Siegerlaune verdorben, und sie überlegte, wie sie sich dafür revanchieren könnte.
„Liebe Güte, Miss Beatrice. Sie sehen aus wie eine wandelnde Gewitterwolke.“
Unbemerkt von ihr war Meg mit einem Korb Wäsche unterm Arm ins Zimmer getreten.
„Vielen Dank“, erwiderte Beatrice sarkastisch.
Den Tonfall ihrer Herrin ignorierend sortierte Meg die Sachen in den Schrank. „Wie ich höre, ist Lord Pelham zurück.“
Beatrice seufzte. „Ja, leider.“
„Glauben Sie, er wird diesmal bleiben?“
„Eine Weile“, hörten sie eine tiefe Stimme von der Tür. Beide Frauen drehten sich erschrocken um.
Charles lehnte am Türrahmen. „Würden Sie uns bitte allein lassen, Meg?“
Die Zofe nickte und verließ das Zimmer. Charles schloss die Tür hinter ihr, dann näherte er sich Beatrice. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Die ganze Nacht hatte er über ihren Streit nachgedacht und immer noch keine Worte gefunden, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Die von ihr vorgenommenen Änderungen hatten ihn wütend gemacht, allerdings konnte sie auch nicht wissen, warum er dagegen war. Er hatte nie mit ihr darüber gesprochen, dass er aus persönlichen Gründen keine Veränderungen an Pelham House wünschte. Die meisten Maßnahmen, die sie hatte ausführen lassen, dienten zudem der Verschönerung des Hauses, von der Tapete in seinem Zimmer einmal abgesehen. Er wusste, sie hatte sich damit an ihm rächen wollen, und in gewissem Maße bewunderte er sogar ihren Einfallsreichtum.
Nichts lag ihm ferner, als mit ihr zu streiten. Selbst jetzt, da ihre Augen vor Wut blitzten, verspürte er einzig den Wunsch, sie in seine Arme zu ziehen und bis zur Besinnungslosigkeit zu küssen. Und das, obwohl sie einen solch scheußlichen Morgenrock mit hohem Kragen trug, der sie von den Zehenspitzen bis zum Kinn einhüllte.
„Was willst du?“, fragte sie kühl.
„Du hast meine Nachricht erhalten, nehme ich an.“
Sie hatte den Nerv, die Augen zu verdrehen.
„Du wirst keine weiteren Renovierungsmaßnahmen vornehmen, hast du verstanden, Beatrice?“
„Natürlich. Aber ich will nicht in diesem kalten, zugigen Haus leben, wenn es nicht renoviert wird, hast du das auch verstanden?“
Die Augen schließend zwang er sich, Ruhe zu bewahren. Er hatte es schon wieder falsch angefangen.
Frustriert fuhr er sich mit der Hand durchs Haar, dann atmete er tief ein. „Schau, Beatrice, ich möchte nicht länger darüber reden.“
„Mit ein wenig Vernunft würdest du einsehen, dass alle Arbeiten notwendig waren.“
„Alle? Das ist nicht dein Ernst.“
„Die Tapete“, sagte Beatrice zerknirscht, „war eine Laune, Charles. Du solltest sie gar nicht mögen.“
„Ach ja?“, erwiderte er in gespieltem Unglauben.
Sie ignorierte seinen schneidenden Ton und stand auf. „Ich war wütend, bin es immer noch. Wie soll ich mir denn hier die Zeit vertreiben? Wochenlang habe ich auf dich gewartet. Du hast dich nicht einmal verabschiedet.“
„Wir hatten eine Übereinkunft, Beatrice.“
„Ja, das weiß ich. Aber warum musstest du mich anlügen? Warum schreibst du mir, du kommst am Wochenende zurück, obwohl du eindeutig nicht die Absicht hattest?“
Charles machte sich nicht die Mühe, sein Verhalten zu rechtfertigen.
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