Sommermaerchen
Übelkeit rührte, bald schon würde es der gesamte Haushalt wissen. Sie wusste nicht, was sie nun tun sollte. Wenn sie nur wüsste, was in ihrem Gatten vorging.
Charles hatte ihr zwei Mal geschrieben. In seinem ersten Brief teilte er mit, dass er wohlbehalten in der Stadt angekommen war. Im zweiten ließ er sie wissen, dass er etwa einen Monat fortbleiben würde. Die Notiz auf der Tapete war interessanter gewesen als diese Briefe.
Sie antwortete ihm gleichermaßen förmlich, fragte, wie es ihm ginge, erzählte, sie sei wohlauf und das Wetter recht mild. Dass sie guter Hoffnung war, erwähnte sie nicht.
Sie brachte es einfach nicht über sich. Zu unsicher war sie sich seiner Reaktion.
Charles hatte nie eine Gattin gewollt, da würde er ganz sicherlich kein Kind haben wollen.
Natürlich würde er es unweigerlich erfahren, wenn er zurückkam, selbst wenn er voraussichtlich nicht lange blieb. Ein solches Geheimnis konnte sie nicht auf ewig vor ihm verbergen.
Beatrice seufzte. Sie wollte keine Geheimnisse vor ihm haben. Sie freute sich auf das Kind, gleich, ob er ihre Gefühle teilte oder nicht. Sie hatte schon immer Kinder haben wollen, und sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie ihr beider Kind aussehen würde.
Mit schwarzem Haar und grünen Augen – eine Schönheit. Doch sie fürchtete, durch das Kind Charles für immer zu verlieren.
Unvermittelt überfiel sie wieder das vertraute Schwindelgefühl. Vor Sorge ohnmächtig zu werden, setzte sie sich rasch auf den Boden und richtete den Blick auf die Wand unterhalb des Gemäldes. Der Schwindel verflog, und sie wollte sich schon wieder aufrappeln, als ihr Blick auf einen kleinen Riegel in der Wandtäfelung fiel. Gleich darauf entdeckte sie auch die Angeln einer Tür.
Ihre Übelkeit vergessend, lehnte sie sich vor und hob den Riegel behutsam an. Die Tür schwang auf und enthüllte einen dunklen Gang, gerade hoch genug, dass sie gebeugt darin stehen konnte. Neugierig ging sie hinein, um herauszufinden, wohin der Tunnel führte.
Sie war noch nicht weit gekommen, als sie gegen einen harten Gegenstand stieß.
Neugierig hob sie ihn an, stellte fest, dass er nicht allzu schwer war, und beschloss, ihn in die Galerie zu bringen, um ihn sich genauer anzuschauen.
Zurück in der Galerie stellte sie den Gegenstand an die Wand. Es war ein Gemälde.
Als sie es betrachtete, überkam sie ein Blitz der Erkenntnis. Unverhofft glaubte sie den Grund zu kennen, warum Charles ihr nie ein wahrer Gatte sein würde, ihrem Kind nie ein liebevoller Vater. Er konnte ihre Liebe nicht zulassen. Der Kummer, den er erlitten hatte, war zu groß, und er fürchtete, wieder verletzt zu werden.
Mit einem Schlag wusste Beatrice, dass sie abreisen musste.
Sorgfältig stellte sie das Gemälde in den Gang zurück und beschloss, am nächsten Tag nach Hause zu fahren. Sie hatte ihre Familie seit der Hochzeit nicht gesehen, und sie konnte es einfach nicht länger ertragen, allein zu sein.
Jack Davenport lümmelte in seinem Lieblingssessel bei White’s, schaute seinen besten Freund an und seufzte. Seit über einer Stunde saßen sie beisammen, und Charles hatte kaum ein Wort gesprochen. Stattdessen ließ er, ins Leere blickend, den Brandy in seinem Glas kreisen. Seit Charles vor einem Monat nach London zurückgekehrt war, saßen sie mindestens vier Mal pro Woche in dieser Weise zusammen. Es war offensichtlich, dass er unglücklich war.
„Weißt du schon, wann du nach Hause zurückfährst?“, fragte Jack.
Charles sah auf. „Warum? Ich bin doch erst einen Monat fort.“
„Richtig“, sagte Jacke bedächtig. „Und warum bist du noch mal hier?“
„Geschäfte.“
„Ach ja. Geschäfte. Und welche Geschäfte sind es diesmal?“
„Halt den Mund, Jack. Du weißt ganz genau, warum ich hier bin.“
„Nein, ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum du deine wunderschöne Frau allein lässt. Es ist ganz offensichtlich, dass du lieber bei ihr wärst. Warum fährst du also nicht?“
Charles antwortete nicht gleich. Jack hatte recht, er wäre lieber bei Beatrice. Es verging keine Minute, in der er nicht an sie dachte. Aber wie sollte er erklären, dass er ihr genau deshalb aus dem Weg gehen musste? „Ich habe meine Gründe.“
„Und die wären?“, fragte Jack unverblümt.
Die Frage war verständlich, aber er konnte seinem Freund nicht eingestehen, wie groß seine Angst war, erneut einen geliebten Menschen zu verlieren. „Ich möchte nicht darüber sprechen.“
„Milbanks ist vermutlich
Weitere Kostenlose Bücher