Sommermaerchen
sie weiter. „Ich habe viele Geheimnisse“, sagte er. „Ebenso wie das Haus.“
„Welche Geheimnisse birgt denn das Haus?“
„Geheime Gänge.“ Charles legte den Arm um sie. „Als wir Jungen waren, lange bevor Lucy geboren wurde und uns den ganzen Spaß verdarb, versteckten Mark und ich uns oft in den Geheimgängen. Besonders, wenn wir lernen sollten.“
„Wie raffiniert von euch.“
„Ja, nicht wahr? Nachdem mein Vater und Mark gestorben waren ...“
Beatrice blieb stehen. Sorge spiegelte sich in ihrer Miene. „Du musst nicht darüber sprechen, wenn du nicht möchtest, Charles.“
Er legte ihr die Hand auf die Schulter. „Ich möchte aber. Ich will nicht länger in der Vergangenheit verweilen. Seit Jahren trauere ich, und es hat sie nicht zurückgebracht. Das Leben geht weiter. Das hast du mir beigebracht.“ Er küsste sie sanft auf den Mund, bevor er weiterging.
„Nach der Beerdigung wanderte ich verloren durchs Haus. Es kam mir plötzlich so leer vor. Wie von selbst führten mich meine Schritte in die Galerie. Dort gab es ein Porträt von uns dreien, und ich ... Ich dachte, so könnte ich meinen Vater und meinem Bruder wiedersehen.“
„Ich kenne das Porträt, Charles“, sagte sie.
„Tatsächlich?“
„Es war Zufall“, sagte sie schuldbewusst. Sie kam sich wie ein Eindringling vor, wusste sie doch, wie gewissenhaft er seine innersten Gefühle zu verbergen suchte. „Ich habe den Gang entdeckt und bin hineingegangen. Da stand es.“
Er nickte. „Ich habe es dorthin gestellt. Vor fünfzehn Jahren, am Tag der Beerdigung.
Plötzlich konnte ich den Anblick nicht länger ertragen.“
Sie blieben vor dem Gemälde stehen.
„Wer hat es wieder aufgehängt?“, fragte Beatrice überrascht.
„Ich. Es war ganz seltsam. Als ich das Gemälde wiedersah, wurde mir plötzlich bewusst, dass die Vergangenheit mir nicht mehr so wichtig war. Dass ich sie endlich ruhen lassen konnte, weil ich bald selbst ein Kind haben würde, und vor allem, weil ich dich gefunden hatte ... Allerdings fürchtete ich, dich für immer verloren zu haben, weil ich dich zu oft von mir gestoßen habe.“
„Nein“, sagte Beatrice und hoffte, dass er ihr glaubte.
Seine Stimme klang belegt, als er weitersprach. „Ich habe versucht dich von mir zu stoßen, weil ich Angst vor meinen eigenen Gefühlen hatte. Dann aber wurde mir klar, dass sie sich nicht verleugnen lassen.“
Plötzlich musste Beatrice es wissen, ob er sie liebte oder nicht. Sie wusste nicht, wie er ihre Frage beantworten würde, aber ihr Stolz war ihr schon viel zu oft in die Quere gekommen. Nun sollte er nicht mehr verhindern, dass sie die Wahrheit erfuhr. Sie schäumte über vor Liebe und wollte diese mit ihm teilen. „Bevor ich gestern eingeschlafen bin, habe ich etwas gesagt ...“
Er lächelte sein verführerisches Lachen und fuhr ihr mit dem Finger zärtlich über die Schulter. „Und was hast du gesagt?“
„Also ...“, fing sie an.
Charles ließ sie nicht ausreden, zog sie in seine Arme und sank mit ihr zu Boden, sodass sie auf seinem Schoß zu sitzen kam. „Vielleicht, dass du mich liebst?“, fragte er gespielt unschuldig.
„Du hast es gehört?“, fragte Beatrice und löste sich von ihm.
Verwegen lachend zog er sie wieder in die Arme. „Ja.“
„Liebst du mich, Charles?“
Charles verharrte reglos, hielt sogar den Atem an. So eine dumme Frage. Er liebte sie von ganzem Herzen. Wusste sie das denn nicht?
Er nickte.
„Dann sag es mir“, bat Beatrice.
„Darin bin ich nicht sehr gut“, erwiderte er.
Sie lächelte geduldig. „Da kann ich dir nur zustimmen. Vielleicht könntest du es üben, Charles. Übung macht den Meister.“
„Ich werde üben“, sagte er, zog sie wieder auf seinen Schoß und küsste ihren Nacken.
Beatrice genoss das Gefühl, aber sie war nicht bereit, das Thema fallen zu lassen.
„Du könntest gleich mit dem Üben anfangen.“
Aus irgendeinem Grund gelang es ihm nicht. Er wusste, dass er sie liebte. Es auszusprechen würde es nicht wahrer machen. „Du weißt, wie ich fühle. Benimm dich doch nicht so mädchenhaft deswegen.“
„Mädchenhaft!“ Sie stieß ihn zurück, sodass er auf den Boden fiel, und setzte sich auf ihn. Charles stöhnte gespielt auf.
„Vielleicht kannst du es sagen, wenn ich dir einen Kuss gebe?“, meinte sie und blickte auf ihn hinunter.
„Das wäre einen Versuch wert“, sagte er und verschränkte lachend die Arme hinter dem Kopf.
„Schuft“, murmelte sie, als sie sich
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