Sommermond
Moment spitz hervor. Dann fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen und blickte auf. Ben versuchte ein Lächeln, spürte jedoch, dass er zu benommen für ein solches war. Alex‘ Anblick machte ihn an – sogar jetzt, in dieser abwegigen Situation. Als der Blonde wortlos aufstand und sich anschließend auf die Bettkante setzte, wurde Ben vor Aufregung schwindelig. Dennoch war er bemüht, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Er hob seine Hand und legte sie auf die von Alex. Sie war kalt. Er umfasste die Finger des Blonden und blickte ihn ermutigend an.
Alex lachte schüchtern. „Wenn Nick das hier sehen würde, der würd‘ austicken“, sagte er leise.
Ben lächelte. „Nicht ablenken …“
Alex wurde wieder ernster.
Ben wartete gespannt. Es war fast, als ob sie sich kurz vor ihrem ersten Kuss befinden würden. Ein bisschen war das auch so. Immerhin hatte Ben eine neue Chance vom Leben bekommen.
Als Alex sich dann endlich hinunterbeugte und die Augen schloss, überkam Ben eine ungeheure Gänsehaut. Das Kribbeln reichte bis in seine Zehenspitzen. Er spürte seinen schnellen Herzschlag, hörte ihn zusätzlich auf dem kleinen Monitor neben seinem Bett. Alex kam ihm schnell näher. Er roch anders als sonst, nicht frisch geduscht und nach Parfüm. Er roch nach Mensch, durchzogen mit seiner persönlichen Note. Ben mochte Alex‘ Geruch. Er kam ihm vertraut vor, obwohl er ihn kaum kannte. Auch er schloss seine Augen und spürte gleich darauf Alex‘ warme Lippen auf den seinen. Zu einer Bewegung war er nicht mehr fähig. In seinem Inneren überkam ihn ein so großes Glücksgefühl, dass er unter dem Kuss grinsen musste. Alex löste sich ein paar Millimeter von ihm.
„Was ist?“, nuschelte er.
„Nichts …“, erwiderte Ben und schüttelte kaum merklich den Kopf.
Nebenbei hob er seine Hand und legte sie in Alex‘ Nacken. Mit sanfter Gewalt deutete er ihm an, dort weiter zu machen, wo er aufgehört hatte. Mit Erfolg. Alex legte seinen Mund erneut auf den seinen und verteilte sanfte Küsse auf Bens Lippen. Dieser genoss die Berührung, genoss das Kribbeln und auch die Erleichterung, die in ihm aufstieg. Er hatte Alex nicht verloren. Das machte ihn glücklich.
Wahrscheinlich hätte der Kuss noch länger gedauert, wenn nicht plötzlich jemand ins Zimmer gestürmt wäre. Bens Hand ruhte noch in Alex‘ Nacken, seine Finger spielten mit blonden Haarsträhnen. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.
„ Bruder , ja?“, fragte die junge Krankenschwester. Sie verzog ihr Gesicht wie ein kleines Kind, das beleidigt war.
Ben musste grinsen. Alex sah ihn unschlüssig an.
„Das ist halt alles noch etwas neu für uns“, war Bens Notlüge. Er spielte auf ihr Schwulsein an und hoffte, mit diesem peinlichen Geständnis weitere Fragen zu umgehen.
Die schwarzhaarige Schwester schaute sie abwechselnd an.
„Verstehe“, sagte sie dann und wandte ihren Blick ab, als sei ihr unangenehm, was sich vor ihren Augen abspielte. „Ich will auch gar nicht stören. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass Sie nach dem Mittag noch einmal zum Röntgen müssen.“
„Okay“, erwiderte Ben.
„Okay“, sagte die Schwester.
Statt zu gehen, blieb sie allerdings zögernd stehen und klemmte die Patientenakte dabei fest gegen ihre Brust. Ben hob seine Augenbrauen in einer Geste, die wortlos hinterfragte, ob die Schwester noch mehr wollte. Als sie seinen Blick bemerkte, öffnete sie ihren Mund, machte unklare Laute und gestikulierte mit der freien Hand in der Luft. Dann wandte sie sich um, ging zur Tür und verabschiedete sich hektisch. Kaum war die Tür wieder zu, mussten Ben und Alex fast zeitgleich auflachen. Ben nahm seine Hand von Alex und fuhr sich über die Augen.
„Die war ja mal voll überfordert“, lachte er.
„Als hätte die sowas zum ersten Mal gesehen“, fügte Alex hinzu.
„Na ja, die Tatsache, dass du dich als mein Bruder ausgegeben hast, macht das vielleicht nicht unbedingt besser.“
„Wie auch immer …“, tat Alex schließlich ab. „Jetzt ist sie ja weg.“
Er machte den Versuch, sich vorzubeugen, um Ben erneut zu küssen. Dieser hielt ihn allerdings mit sanfter Gewalt zurück.
„Danke, dass du hergekommen bist“, sagte er. „Und das, obwohl dich meine Eltern beschuldigen.“
Alex seufzte kaum hörbar und richtete sich wieder zur sitzenden Position auf.
„Na ja“, sagte er dabei, „wir wissen ja beide, wie’s wirklich war.“
Ben nickte.
„Wie geht’s denn jetzt
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