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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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der war nirgends zu sehen. Zum Glück. Eine weitere Konfrontation konnte er nicht gebrauchen.
    Er schritt zum Eingangsbereich, zog seinen Schlüssel von der Kommode und öffnete die Haustür. Als er nach draußen trat, wurde ihm kalt. Während er seine Hände in die Taschen seines Kapuzenpullovers stopfte, hielt er seine Augen nur leicht geöffnet. Die Helligkeit blendete ihn. In jenem Moment wünschte er sich die Dunkelheit des Winters zurück, in der er sich an diesem Morgen hätte verstecken können. Denn eigentlich war er recht eitel und würde sich unter normalen Umständen dafür schämen, sich in einem derartigen Zustand nach draußen zu wagen. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Er hatte einen festen Termin und war ohnehin schon spät dran. Er rechnete sogar damit, dass der Spanier ihn für diese minimale Verspätung büßen lassen würde.
    Er taumelte die Einfahrt hinunter Richtung Bürgersteig, hielt kurz Ausschau nach Autos und überquerte die Straße. Auf der anderen Seite angekommen, sah er den Spanier schon von weitem. In einem schwarzen Mantel stand er vorm Elbufer und verpasste dem frühlingsbunten Bild einen herben Kontrast. Alex bemühte sich, einigermaßen aufrecht zu gehen und seine Kopfschmerzen zu ignorieren. Er schritt die vielen Stufen zum Fußgängerweg hinunter und zog zwischendurch die Nase hoch. Nie wieder würde er seinen Magen einen Mixer für Cognac und Bier spielen lassen. Ihm war so schlecht, dass er glaubte, sich jeden Moment in einen der Büsche vorbeugen zu müssen, um sich zu übergeben.
    Unten angekommen blickte er noch einmal von links nach rechts, hielt Ausschau nach anderen Spaziergängern und trat schließlich zum Spanier. Er stellte sich neben ihn und schaute fest zu ihm auf. Doch der ignorierte ihn. Stattdessen schob er seinen Anzugärmel mit seinen in Lederhandschuhen verborgenen Fingern nach hinten und warf einen Blick auf seine goldene Rolex.
    „Zwanzig nach acht“, sagte er knapp.
    „Ich weiß“, erwiderte Alex. „Mir ist was dazwischen gekommen.“
    „Und was?“, fragte der Spanier, wandte sich zu ihm und warf ihm einen strengen Blick zu. „Du siehst nicht aus, als ob dir etwas dazwischen gekommen wäre.“
    Alex sah zu ihm auf. Trübe, ausdruckslose Augen fixierten ihn. Mit den grauen, nach hinten gekämmten Haaren und den vielen Falten zwischen der dunklen Haut kam ihm der Spanier mit einem Mal älter vor als sonst. Vielleicht lag das auch daran, dass er ihm bislang noch nie bei Tageslicht begegnet war. Doch jetzt, an diesem frühen Aprilmorgen, wirkte das Licht wie eine Halogenleuchte in einer Tankstelle, unter denen selbst der gesundeste Mensch aussah, als zerfresse ihn eine unheilbare Krankheit.
    „Was willst du?“, fragte Alex. Früher hatte er den Spanier gesiezt, doch diese Höflichkeitsform ersparte er sich seit Längerem.
    „Hast du das Koks von gestern?“, fragte der Spanier.
    Alex atmete tief durch, sah sich einmal um und griff anschließend in seine Tasche. Er zog ein kleines Bündel hervor und reichte es dem Spanier. Der warf keinen genauen Blick darauf, sondern ließ es schnellstmöglich in seiner Manteltasche verschwinden.
    „Können wir jetzt zur Sache kommen?“, drängte Alex. „Mir geht’s nämlich nicht besonders.“
    „Ach, was?“ Der Spanier sah zu ihm herab und lächelte amüsiert. „Dir geht es also nicht besonders?“
    Alex warf ihm einen kritischen Blick zu.
    „Was denkst du denn, wie es mir geht?“, fragte der Spanier. „Nachdem du gestern zweitausend Euro verloren hast?“
    „Als ob dir das was ausmachen würde“, zischte Alex. „Du scheißt doch auf das Geld. Dir geht’s doch um was ganz anderes.“
    „Oh, oh, oh …“, machte der Spanier und schüttelte seinen Kopf. „Da ist wohl jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden.“
    Dann wandte er sich um und pfiff in Richtung des Weges. Daraufhin ging alles so schnell, dass Alex einen ganzen Moment brauchte, die Situation zu verinnerlichen. Von einer versteckten Bank erhoben sich Rafael und Juan und bewegten sich zielstrebig auf sie zu. Juan wich Alex‘ Blick aus. Rafael grinste dreckig. Als Alex ihn ansah, erinnerte er sich an dessen dünnen Schwanz. Er unterdrückte ein Würgen und musste sich zusammenreißen, sich nicht vorzubeugen, um Rafael auf die Füße zu kotzen. Das hätte das widerliche Bild des Südländers perfekt komplettiert.
    „Und?“, fragte Alex. „Was jetzt? Wollt ihr mich jetzt mitten in der Öffentlichkeit zusammenschlagen?“ Er pausierte kurz

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