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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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Verstand. Wie von einer fremden Macht gelenkt, steuerte er auf seinen Vater zu, packte ihn am Kragen und zog ihn an sich heran.
    „Das wirst du nicht tun!“, drohte er und funkelte ihn an.
    „Alexander!“ Jo war sichtlich entsetzt. In seinen Augen spiegelte sich neben Fassungslosigkeit ein Anflug von Panik. Offenbar wusste er nicht, wie er mit Alex‘ Verhalten umgehen sollte.
    „Ja …“, fuhr Alex fort und grinste sadistisch, „… jetzt guckste dumm. Aber so …“ Er packte Jo noch fester. „… genau so fühlt es sich an, wenn man bedroht wird, weil einem der eigene Vater und Freund in den Rücken fallen.“
    Mit diesen Worten ließ er grob von Jo ab, starrte ihm aber noch immer fest in die Augen. Er dachte nicht darüber nach, was gerade in ihn gefahren war. Im Gegenteil. Er empfand seine Reaktion als längst überfällig. Trotzdem sah er ein, dass er sich entschuldigen musste. Pro forma.
    „Es tut mir leid“, sagte er deshalb. Er hob seine Hände und machte unklare Gesten. „Ich wollte nicht …“
    Doch im selben Moment streckte Jo seine Hände nach der Cognacflasche aus und versuchte sie ihm zu entreißen.
    „Hör endlich mit dem Trinken auf!“, fauchte er.
    Offenbar schrieb er Alex‘ kurzzeitigen Realitätsverlust dem Alkohol zu.
    „Ich tu‘ das, was ich für richtig halte!“, entgegnete Alex und umklammerte den Flaschenhals so fest wie möglich.
    „Willst du wie deine Mutter enden?“, fragte Jo. In seinem Gesicht spiegelte sich blanker Zorn.
    „Halt sie da raus, verdammt noch mal!“, fuhr Alex ihn an.
    Jo machte einen neuen Versuch, ihm die Flasche zu entreißen. Alex hielt dagegen. Letztendlich gewann niemand den Kampf. Stattdessen fiel die teure Flasche scheppernd zu Boden. Hunderte von Scherben schwammen in der orangerötlichen Flüssigkeit. Beide blickten nach unten. Jo hielt Alex noch immer am Arm fest.
    „Super gemacht …“, zischte Alex und trat mit dem Fuß gegen eine der größten Scherben, die noch grob als Flaschenboden zu erkennen war. „Ich geh‘ jetzt ins Bett.“
    Er riss sich los und wich zur Seite. Er würdigte Jo keines weiteren Blickes. In schnellen Schritten trat er zur Tür und zog sie auf.
    „Alexander!“, ermahnte ihn Jo. „Du kannst nicht immer vor allem weglaufen!“
    Alex blieb stehen. Nun drehte er sich doch noch einmal um und warf seinem Vater einen strengen Blick zu.
    „Sagt wer?“, entgegnete er. „Sagt der, der mir in diesem Punkt ein perfektes Vorbild war?“ Alex schüttelte fassungslos den Kopf. Dabei überkam ihn ein Anflug von Schwindel. Reflexartig hob er seinen Arm und stützte sich am Türrahmen ab. „Dir ist echt nicht mehr zu helfen.“
    Mit diesen Worten wandte er sich endgültig um, trat in den Flur und eilte zur Treppe.
    „Falsch!“, schrie sein Vater hinter ihm. „Dir ist nicht mehr zu helfen! Und damit ruinierst du nicht nur dein Leben, sondern auch meines!“
    Alex machte eine abtuende Geste nach hinten. Gerade so, als ob ihn sein Vater noch sehen würde. Dann hielt er sich am Geländer fest und schritt die Stufen hinauf. Er war Auseinandersetzungen mit seinem Vater gewohnt. Sie gehörten fast zum Alltag. Dennoch machten sie ihm zu schaffen, weil sie ihm immer wieder ins Gedächtnis riefen, was für ein Arschloch sein Vater war.
    Auch wenn er sich dafür entschuldigt hatte, kurz handgreiflich geworden zu sein, in Wahrheit tat es ihm nicht leid. Schon unzählige Male hatte er versucht, Jo zur Vernunft zu bringen und die Vaterrolle in ihm wachzurütteln. Doch mit all seinen bisherigen Versuchen war er kläglich gescheitert. Deshalb hoffte er umso mehr, dass Jo wenigstens dieses eine Mal auf ihn hörte und die Polizei aus der Sache heraushielt. Die Bullen schnüffelten seit dem Unfall am Pinnasberg ohnehin schon zu viel in seinem Privatleben herum, und das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, waren weitere löchernde Fragen von Oberkommissar Wagner. Er hatte genügend andere Sorgen und wollte sich nicht noch mit der Polizei herumschlagen müssen.
    Er durchquerte den Flur, stürmte in sein Zimmer und warf die Tür hinter sich zu. Dort eilte er zu seinem Bett, ließ sich auf die Matratze fallen und schlug sich die Hände vors Gesicht. Der alkoholbedingte Schwindel wurde größer. Bei geschlossenen Augen begann sich alles zu drehen. Doch sein eigentliches Vorhaben war missglückt. Zwar war sein Körper betäubt, doch sein Verstand funktionierte noch immer einwandfrei. Das war wie eine weiße Folter. Am liebsten hätte er sich

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