Sommermond
Er fühlte nichts. Alex‘ Worte schallten bedeutungslos durch seinen Kopf.
Als er merkte, dass er noch immer zu Alex‘ Zimmertür starrte, senkte er den Blick. Sein Gesicht verzog sich, spiegelte Skepsis wider. Er war nach Hamburg gekommen, um Unausgesprochenes zu klären, doch plötzlich gab es noch viel mehr, das es zu klären galt. Die Situation überforderte ihn. Alex‘ Worte verletzten ihn längst nicht mehr. Im Gegenteil. Seine Reaktion verdeutlichte ihm nur umso mehr, wie viel er dem Blonden in Wahrheit bedeutete. Doch hingegen all seiner Erwartungen konnte er sich nicht darüber freuen, und genau das war es, was sich plötzlich verändert hatte. Alex bedeutete ihm sehr viel und er wollte ihm helfen, war aber nicht mehr dazu bereit, den Kampf um ihre Liebe einseitig fortzuführen und dabei ständig verletzt zu werden. Ihre Beziehung hatte ihre zweite Chance bekommen und sie hatten sie vertan. Und plötzlich musste er an sein Stipendium denken und daran, bald nach New York zu fliegen. Wie in Trance wurde ihm dabei bewusst, dass dieser Schritt seine beste Chance auf einen Neuanfang war – auf einen Lebensabschnitt, indem er lernen musste, Alex zu vergessen.
24
Alex öffnete das Fenster. Die Luft war warm und stickig. Seine Kehle war trocken, sein Hals kratzte. In der Nacht hatte er kaum Schlaf gefunden, sich die ganze Zeit von einer auf die andere Seite gewälzt. Der Deal, der heute anstand, ließ ihm keine Ruhe. Er hatte Angst, dass etwas schief gehen könnte – auch, wenn alles perfekt geplant war. Er musste Pawlow dem Spanier ausliefern. Das war kein Kinderspiel, und ihm war bewusst, dass er danach an Pawlows Tod mitschuldig sein würde. Doch was sollte er tun? Darauf warten, dass der Spanier ihn umbrachte? Ihn oder Ben?
Bei dem Gedanke an den Dunkelhaarigen zog sich sein Magen zusammen. Er schritt zum Schrank und holte sich frische Kleidung. Mit ihr in der Hand setzte er sich aufs Bett und seufzte. Er hatte nicht mit Ben streiten, ihn nicht derart verletzen wollen. Seine Wut war der Grund für sein Verhalten gewesen. Er hatte mit Ben geschlafen und ihm sein Herz ausgeschüttet. Für einige Augenblicke hatte er daran geglaubt, dass alles gut werden würde; dass ihm und Ben eine gemeinsame Zukunft bevorstehen könnte. Aber Ben flog bald in die USA, um sein Auslandssemester zu beginnen. Und das machte Alex wütend. Er konnte nicht verstehen, wie jemand mehr Wert auf seine Karriere als auf die Liebe legte. Dabei verdankte Ben ihm sein Leben. Alles, was er in den letzten Monaten getan und über sich ergehen lassen hatte, hatte er für ihn getan. Aus Liebe, weil er nicht wollte, dass Ben etwas passierte. Es war ihm ein Rätsel, wieso der Dunkelhaarige überhaupt nach Hamburg zurückgekehrt war. Wieso hatte er mit ihm geschlafen? Wieso, wenn ihm doch alles egal zu sein schien? Ein letzter Fick und dann ab nach New York! Sollte das alles sein?
Ben sprach davon, ihm helfen und für ihn da sein zu wollen. Er sagte, Alex würde ihm viel bedeuten. Doch das war gelogen. Denn, sollte Alex ihm tatsächlich so wichtig sein, wie er sagte, würde er ihn kein weiteres Mal allein lassen. Nicht, nachdem er erfahren hatte, wie sehr Alex sich für ihn aufgeopfert hatte.
Gedankenverloren zog er sich ein frisches Hemd über. Dann stand er auf, schlug das Kopfkissen aus und legte die Bettdecke zusammen. Ein Blick auf den Wecker verriet, dass es kurz nach neun war. Also noch früh. Bis zum Deal blieben ihm noch 13 Stunden. Er wusste nicht, was er mit der Zeit anstellen sollte. Mit dem Spanier und Pawlow war alles besprochen. Mit beiden hatte er gestern telefoniert. Der Plan stand fest: Um 22 Uhr würde er sich mit seinem angeblichen Kontakt, einem vom Spanier organsierten Kerl, im Jenischpark treffen, um ihm das von Pawlow bestellte Koks abzukaufen. Er würde Pawlows Geld dabei haben, einen kurzen Blick in den Inhalt des Koffers werfen und ihn anschließend an sich nehmen. Alles musste echt aussehen, damit Iwan, der ihn zum Deal begleitete, keinen Verdacht schöpfte. Mit dem Koffer würde er dann zum Wagen, in dem Iwan wartete, zurückkehren. Gemeinsam würden sie zum Hafen fahren. Dort wollte Pawlow sich mit ihm treffen, um das Koks zu überprüfen. Der Spanier würde ihnen unauffällig folgen. Am Hafen sollte Alex dann dafür sorgen, dass Pawlow ausstieg, damit er nicht fliehen konnte, wenn er den Spanier entdeckte. Dieser würde zeitnah hinzukommen, um Pawlow umzulegen. Der Spanier legte den größten Wert darauf, dies
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