Sommermond
war der Appetit vergangen. Als er wieder aufsah, hatte Ben den Blick abgewandt. Geistesabwesend pulte er etwas Blätterteig von seinem Croissant.
Alex beschlich ein seltsames Gefühl. Jo und Ben verhielten sich anders als sonst. Irgendetwas hing in der Luft. Irgendetwas, das der Situation diese angespannte Atmosphäre verlieh. Er wusste nur nicht, was.
„Hab‘ ich irgendwas verpasst?“, fragte er deshalb und tat genervt.
Jo, der gerade einen Schluck von seinem Kaffee genommen hatte, hustete brutal auf. Er faltete die Zeitung zusammen und stellte seine Tasse vor sich ab. Dann warf er Alex einen gequälten Blick zu. Der Blonde blickte fragend zurück. Fast zeitgleich sprang Ben vom Stuhl auf und stürmte zur Tür.
„Zieh‘ mich für’s Joggen um …“, murmelte er.
Alex schaute ihm irritiert nach und wandte sich daraufhin wieder an seinen Vater.
„Gibt’s irgendwas, was ich wissen sollte?“, konkretisierte er seine Frage.
Jo schüttelte den Kopf.
„Nein, nein …“, tat er ab, während er sich räuspernd vom Hustenanfall erholte.
„Sicher?“, hakte Alex nach.
Jos Verhalten kam ihm seltsam vor. Er kannte seinen Vater gut genug, um jede noch so kleine Unregelmäßigkeit in dessen Verhalten zu erkennen.
„Na ja“, gab Jo dann zu, „eine Kleinigkeit wäre da doch.“
Alex starrte ihn erwartungsvoll an. Jo machte unklare Gesten mit seinen Händen und spülte ein paar Schlucke Wasser durch seinen gereizten Hals. Als er das Glas kurze Zeit später abstellte, räusperte er sich noch einmal und warf Alex einen festen Blick zu.
„Ben wird morgen abreisen“, sagte er.
Alex wurde schlecht. Sein Magen krampfte sich zusammen. Er hatte das Gefühl, sein Frühstück würde wieder hochkommen. Nur langsam wandte er den Blick ab und begann stattdessen vor sich auf den Tisch zu starren.
„Warum überrascht dich das so?“, hörte er seinen Vater fragen. Die Stimme klang fern – wie aus einer anderen Dimension.
Alex schaffte es nicht, etwas zu erwidern. Sein Puls begann zu rasen, seine Hände wurden kalt und schwitzig. Er verharrte nur kurz, bevor er sich samt Stuhl vom Tisch wegdrückte und aufstand.
„Ich brauch‘ ‘ne Zigarette“, nuschelte er.
„Alex!“, rief Jo, als er zur Tür schritt. „Das war doch von Anfang an klar! Ben hat mit offenen Karten gespielt!“
Alex blieb stehen und lachte künstlich. Kopfschüttelnd wandte er sich um.
„Dass du ihn in Schutz nimmst, war mir klar“, erwiderte er.
Dann drehte er sich um und verließ das Esszimmer.
„Alexander!“, hörte er Jo rufen.
Doch dieses Mal ignorierte er ihn. Er hetzte zum Wintergarten, fischte sich eine angebrochene Schachtel Marlboro vom Tisch und schob die gläserne Tür zum Garten auf. Er schritt nach draußen, klemmte sich die Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an. Seine Hände zitterten, als er das Feuerzeug zurück zwischen die Zigaretten stopfte. Er nahm einen kräftigen Zug und schloss die Augen. Langsam atmete er den Rauch aus und versuchte, sich zu beruhigen. Er war innerlich aufgewühlt und seine Gefühle überforderten ihn. Er wollte sich nicht mit Bens Abreise auseinander setzen Er hatte genügend andere Sorgen. Doch sein Verstand gehorchte ihm nicht. Zum ersten Mal schien sich dieser mit seinen Gefühlen verbunden zu haben. Alex konnte nicht mehr rational denken. Auf einmal wirkte selbst der anstehende Deal nichtig.
Er nahm einen weiteren Zug, atmete das Nikotin ein und versuchte seine Gefühle zu betäuben. Dabei dachte er an die Worte seines Vaters. Natürlich hatte Jo recht. Er hätte damit rechnen müssen, dass Ben zeitnah zurück nach Flensburg fahren würde. Dennoch schockte ihn diese Erkenntnis. Bislang hatte er seine Sorgen bezüglich Ben erfolgreich verdrängt. Doch jetzt fühlte er sich miserabel, wenn er daran dachte, die wenige Zeit mit Ben falsch genutzt zu haben. Sie hatten sich ständig gestritten, statt jede kostbare Minute zu genießen. Und trotz Bens klarer Aussage hatte er bis zum Schluss die absurde Hoffnung gehegt, Ben würde bei ihm bleiben und das Stipendium abtreten. Doch ihr letzter Streit war zu heftig gewesen. Vermutlich hatte Ben deshalb die Entscheidung gefällt, nach Hause zu fahren. Alex hatte ihm genug Gründe dafür gegeben. Er hatte ihn beschimpft, beleidigt und es vor seinen Augen mit einem anderen Kerl getrieben. Da war es nachvollziehbar, dass Ben nichts mehr von ihm wissen wollte. Trotzdem schmerzte es Alex. Er konnte nicht glauben, dass Ben ihn schon morgen
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