Sommermond
zaghaft. Das Gespräch tat ihm gut. Es festigte seine Ansicht, das Richtige getan zu haben, und verscheuchte das Teufelchen von seiner Schulter.
Jo hob das Taschenbuch und wendete es in seiner Hand.
„John Grisham?“, fragte er und lenkte damit vom Thema ab. Er schien Ben nicht weiter löchern zu wollen.
„Ja“, antwortete Ben und machte dazu eine unklare Geste. „Keine Ahnung …“
„Du willst dein Englisch aufbessern, was?“, lachte Jo.
Ben nickte verlegen.
„Ist ein guter Autor“, sagte Jo. „Ich habe viele seiner Bücher gelesen. Allerdings auf Deutsch. ‚Die Firma‘ hat mir damals gut gefallen.“ Er drehte das Buch mit dem Cover nach oben, gab es Ben zurück und erhob sich von der Couch. „Na ja, dann werde ich dich nicht länger stören.“
Ben beobachtete, wie er zum Ausgang schritt und noch einmal im Türrahmen stehen blieb. Seine Lippen formten ein stilles Lächeln. Ben blickte zu ihm auf. Er hätte nie gedacht, dass Jo so gut mit den Ereignissen umgehen würde.
„Danke“, sagte Jo.
Ben nickte kaum merklich. „Ich hoffe nur, dass alles gut geht.“
„Das wird es sicher“, erwiderte Jo. „Dank dir.“
Ben fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und senkte den Blick.
„Also dann …“, hörte er Jo sagen. „Viel Erfolg beim Lesen!“
Ben blickte kein weiteres Mal zu ihm auf. Wie gebannt starrte er auf das Buchcover in seinen Händen. Er musterte die goldene Statue und begann sich zu fragen, ob es so etwas wie Recht oder Unrecht überhaupt gab. Aktuell bezweifelte er es und glaubte, dass jede gute Tat auf einer schlechten aufbaute und jede schlechte auf einer guten. Gut und Böse konnten ohne einander nicht existieren. Und so versuchte er sich zu beruhigen und sich endlich einzugestehen, dass er in seiner Situation richtig gehandelt hatte. Recht und Unrecht hin oder her, Gut und Böse hin oder her – er hatte auf sein Herz gehört, und das war es, was zählte.
Er schlug das Buch wieder auf, klemmte seinen Daumen zwischen die Seiten und beugte sich erneut über den Text. Er musste sich dringend ablenken, bevor seine Gedanken mit ihm durchgingen. Er nahm sich den ersten Absatz vor, übersetzte die Sätze beim Lesen und versuchte sich zu konzentrieren. Doch auch dieser zweite Versuch währte nicht lange. Er wurde erneut aus dem Konzept gebracht, als er plötzlich dumpfe Stimmen vernahm. Als er irritiert aufblickte, sah er Alex in das Poolzimmer kommen. Im Schlepptau hatte er einen jungen Kerl mit schwarzen Haaren. Alex hielt ihn an der Hand und zerrte ihn zu den Liegestühlen. Ben rutschte fast das Buch aus der Hand. Er fing es noch gerade rechtzeitig auf. Er hielt den Atem an und starrte wie gebannt zum Poolbereich. Alex blieb vor den Stühlen stehen und befreite sich ungehemmt aus seinen Klamotten. Der Kerl tat es ihm gleich. Ben traute seinen Augen nicht. Alex behielt nur seine Boxershorts an und trat auf den Fremden zu. Er legte seine Arme um dessen Schultern, beugte sich vor und küsste ihn. Dieser Anblick verpasste Ben einen scharfen Stich ins Herz. Er war fassungslos. Alex verhielt sich ganz anders als vor ihm. Ungehemmter und überdrehter. Ben musste kräftig schlucken. War es das, was Alex die letzten Monate getrieben hatte? Sein Herz schlug kräftig gegen seine Brust. Wie konnte Alex so etwas tun, nachdem sie gestern miteinander geschlafen hatten? Hatte Alex ihm all die Gefühle nur vorgespielt? Warum hatte er Ben dann derart vertraut?
Die vielen Fragen bohrten sich in seinen Kopf und lösten ein unangenehmes Pochen in seinen Schläfen aus. Der Kerl, der gerade mit Alex zum Beckenrand taumelte, sah nicht mal gut aus. Er war dünn, hatte kaum Muskeln und Haare auf der Brust. Er befreite sich aus seiner Hose und ließ sie unachtsam neben sich auf den Boden fallen. Ben wollte den Blick abwenden, schaffte es aber nicht. Sein Körper reagierte nicht auf seine Befehle. Stattdessen folterte er sich weiter und beobachtete, wie sich die beiden ineinander verschlungen in den Pool fallen ließen. Unmengen an Wasser spritzten auf und bildeten Pfützen auf den Fliesen. In der Mitte des Pools tauchten sie wieder auf. Alex schwamm an den hinteren Beckenrand. Das Wasser reichte ihm bis zur Brust. Er stand mit dem Rücken zur Wand, seine Arme hingen ausgestreckt über dem Beckenrand. Seine blonden Haare wirkten dunkler als sonst. Wasser tropfte von seinem Kinn. Der andere Kerl baute sich vor ihm auf, strich mit den Händen über Alex‘ Arme und beugte sich vor, um ihn zu
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