Sommermond
Verlangen nach Alkohol in sich aufsteigen. Normalerweise war er niemand, der sich seine Sorgen unwichtig trank. Doch in diesem Moment brauchte er etwas, das seine Sinne betäubte. Nicht viel. Für den bevorstehenden Tag brauchte er einen klaren Kopf. Nur so viel, dass er sich danach ins Bett legen und einschlafen konnte.
Er riss die Tür auf und stürmte nach draußen. Als er durch den Flur hetzte, war er sich nicht sicher, ob er die Tür hinter sich geschlossen hatte, und wollte nicht, dass Alex die Spuren seiner Wut entdeckte und sich daraufhin in seinem Triumpf über Ben suhlte. Deshalb drehte er sich beim Gehen noch mal zu seinem Zimmer und zuckte zusammen, als er kurz darauf gegen jemanden rannte. Erschrocken wandte er sich um und traf auf blaugraue Augen. Sie funkelten ihn an.
„Bist immer noch so ‘n Streber, was?“, fragte Alex.
Ben verstand nicht ganz. Sein Puls beschleunigte sich. Wie gebannt starrte er auf Alex, der mit tropfnassen Haaren und nur einem Handtuch um die Hüften vor ihm stand.
„Na, das ganze Lesen …“, fügte Alex hinzu.
Ben warf ihm einen verbitterten Blick zu. Er schaffte es nicht, etwas zu erwidern. Fassungslos schüttelte er den Kopf und versuchte an Alex vorbeizugehen. Doch der Blonde stellte sich vor ihn und schien ihn provozieren zu wollen.
Ben sah zu ihm auf. „Was willst du?“
Alex hob seine Hand und streckte sie nach Bens Wange aus. Doch der Dunkelhaarige wich zurück.
„Hast du geheult?“, stichelte Alex.
„Boah … Halt die Fresse, echt …“ Ben wagte einen neuen Versuch, an Alex vorbeizugehen. Doch auch dieser schlug fehl. Alex stützte seine Hand gegen die Wand und versperrte ihm den Weg.
Ben verdrehte seine Augen und stöhnte genervt auf.
„Willst du mir vielleicht irgendwas sagen?“, fragte er.
Alex reagierte nicht, starrte ihm nur fest in die Augen.
Ben lachte gequält.
„War’s denn jedenfalls gut?“, fragte er. „Gestern ich, heute der …“
„Ich kann ficken, wen ich will“, entgegnete Alex. „Das geht dich nichts an.“
„Ach, sei nicht kindisch!“ Ben schüttelte den Kopf. „Unser Sex geht mich sehr wohl was an!“
„Anscheinend ja zu wenig“, erwiderte Alex. „Oder warum willst du trotzdem in die USA abhauen?“
„Mann, Alex!“, fuhr Ben ihn an. „Das hatten wir doch schon.“ Er stockte, als ihm etwas in den Sinn kam. Sein Gesicht verzog sich ungläubig. „Hast du deswegen mit dem Kerl gevögelt?“, fragte er heiser. „Um mir eins reinzuwürgen?“
Alex starrte ihn ausdrucklos an. Seine ausbleibende Reaktion war Antwort genug.
„Ich fass‘ es nicht!“ Ben lachte trocken. „Oh, Gott …“ Er schlug sich eine Hand vor den Mund. „Du bist sowas von … so …“ Er machte wirre Gesten und suchte nach einem passenden Begriff. „… billig“, sagte er schließlich und spuckte das Wort verächtlich aus.
„Du beleidigst mich?“, fragte Alex. „Nachdem ich mich für dein Scheißleben aufgeopfert habe?“
„Wahrscheinlich hast du’s nur für dich getan“, entgegnete Ben. „Weil du Schiss um dein Leben hattest.“
„Ist das dein Ernst?“ Alex’ Augen weiteten sich.
„Ja“, erwiderte Ben und nickte bekräftigend. „Und weißt du was?“ Er pausierte rhetorisch. „Es ist mir mittlerweile scheißegal, was du aus deinem Leben machst. Von mir aus kannst du dich weiter durch die Stadt vögeln, dich jeden Abend betrinken, koksen und mit irgendwelchen Banden rumhängen!“ Er stockte erneut und schnappte nach Luft. „Es ist mir egal! Du passt bestens in die ganze Szene. Du bist ein Versager und wirst immer einer bleiben!“
Sie starrten sich fest in die Augen. Alex schüttelte kaum merklich den Kopf, senkte ihn dann kurz und blickte daraufhin hasserfüllter auf als je zuvor.
„Und du hättest verrecken sollen“, entgegnete er dann und sprach unpassend ruhig. „Wärst du damals verreckt, würd‘ ich jetzt nicht in dieser ganzen Scheiße hängen.“
Ben starrte ihn an. Ihm fehlten die Worte.
„Sag das noch mal!“, forderte er Alex auf.
Doch der schüttelte nur den Kopf.
„Fick dich!“, zischte er, zog seine Hand von der Wand und wandte sich ab.
Ohne Ben eines weiteren Blickes zu würdigen, stürmte er in sein Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Ben blieb erschüttert zurück. Sein Kopf war wie leer gefegt. Es kam ihm vor, als ob sein Verstand ihn verlassen und nur eine Hülle seiner selbst zurückgelassen hätte. Er war weder wütend noch traurig, weder enttäuscht noch amüsiert.
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