Sommermond
raten: „Eine DVD?“
Peer schüttelte den Kopf.
„Ein Buch?“
„Nein.“
„Hm …“, machte Ben. „Ein Bilderrahmen?“
„Exakt!“, lachte Peer. „Nun pack‘ schon aus!“
Ben nickte. Er trank sein Glas leer und stellte es vor sich auf den Tisch. Dann löste er die Schleife des Geschenks und wickelte das Papier ab. Zunächst sah er nur die Rückseite des Rahmens. Langsam drehte er ihn um und musste gleich darauf lächeln.
„Du hast mich noch mal gezeichnet“, erkannte er.
Auf dem Bild stand er mitten in New York und lehnte gegen ein Yellow Taxi.
„Das ist echt süß“, fügte er hinzu. „Danke.“
„Ich dachte mir, damit könnte ich dich etwas einstimmen“, erklärte Peer.
„Hat funktioniert“, erwiderte Ben.
Peer sah ihm in die Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde überkam Ben ein alkoholbedingtes Verlangen nach einem Kuss. Doch als er sich dann an ihren letzten auf dem Campus-Gelände erinnerte, wandte er sofort den Blick ab und räusperte sich. Ihm war ganz warm vom Alkohol. Er hatte in kürzester Zeit mehr getrunken, als er vertrug. Sein Kopf fühlte sich schwer an, seine Bewegungen kamen ihm übertrieben langsam vor.
Er konnte Peers festen Blick auf sich spüren, während er seinen eigenen durchs Wohnzimmer schweifen ließ. Neben dem Buffet stand Nick. Ben freute sich darüber, dass er gekommen war. Zwar hatte der Schwarzhaarige keinen Neuen, benahm sich ihm gegenüber aber wieder menschlicher. Er schien endlich begriffen zu haben, dass er und Ben nicht mehr als Freunde bleiben konnten.
Ben senkte den Blick. Gedankenverloren starrte er auf Peers Zeichnung. Der Kunststudent starrte ihn noch immer an. Ben begann sich unwohl zu fühlen, wusste aber nicht, wie er der unangenehmen Situation entfliehen konnte. Umso erleichterter war er, als plötzlich Isabelle auf ihn zustürmte.
„So, jetzt ist dein Moment!“, rief sie.
„Was?“, fragte Ben. Er verstand nicht ganz. Irritiert blickte er zu seiner Freundin auf.
„Na, wir müssen unserem Ritual doch treu bleiben!“, erwiderte sie wie selbstverständlich.
„Ich weiß nicht, was du …“
Er schaffte es nicht einmal auszusprechen, da riss Isabelle ihn schon von der Couch und zerrte ihn mit zu dem Fenster, vor dem das Abschiedsplakat prangte. Dort hatte sie einen Stuhl positioniert.
„Los! Hinsetzen!“, befahl sie.
Ben warf ihr einen skeptischen Blick zu und gehorchte widerstandslos. Er glaubte zu ahnen, was folgen würde. Doch der Alkohol hatte seinen Verstand zu sehr betäubt, als dass er dieser Vermutung genauer nachgehen konnte. Erst als er sich setzte und daraufhin sah, wie Max samt seiner Gitarre auf ihn zutrat, bestätigte sich seine Befürchtung.
Bens Gesicht verzog sich. „Och, Leute! Bitte nicht!“, nörgelte er.
„Und ob!“, entgegnete Max.
„Ich hab‘ ewig nicht gespielt“, versuchte Ben sich herauszureden.
„Sowas verlernt man nicht“, sagte Isabelle. „Ist wie Fahrradfahren.“
„Na, du musst es ja wissen …“, entgegnete Ben.
Er hasste es, im Mittelpunkt zu stehen. Zu blöd, dass sich die ganze Party um ihn drehte. Außerdem hatte Isabelle recht. Bislang war es immer so gewesen, dass – sobald er einen gewissen Alkoholpegel erreicht hatte – er zur Gitarre gegriffen hatte.
„Jetzt stell dich doch nicht so an!“, lachte Isabelle.
Max schritt derweilen zur Musikanlage und schaltete sie aus. Dann räusperte er sich laut. Ihre Freunde drehten sich zu ihm um.
„So!“, begann Max und formte seine Hand zu einem Mikrofon. „Zum Abschied ein Song von unserem geliebten …“ Er deutete zu Ben. „… Kommilitonen.“ Er pausierte und lächelte. „Ben!“ Er erzwang einen künstlichen Applaus, bevor er fortfuhr: „Wir werden dich vermissen, Alter! Und verflucht! Ich bin echt neidisch!“
Daraufhin lachte die Menge. Ben ebenfalls. Fassungslos schüttelte er den Kopf.
Max hob sein Glas und hielt es hoch, als ob er anstoßen wollte. „Auf unseren Streber, Ben!“, rief er dazu.
Die Masse an Studenten nickte, einige von ihnen klatschten erneut. Ben sah Max an seinem Getränk nippen. Er wandte sich wieder an Isabelle. Die reichte ihm nun die Gitarre, die Max ihr zuvor in die Arme gedrückt hatte.
„Ich weiß‘ nicht mal, was ich spielen soll“, sagte Ben.
„Einfach irgendwas“, erwiderte Isabelle. „Das, was dir gerade in den Sinn kommt.“
Ben schluckte. Er war dankbar, betrunken genug zu sein, damit ihm die Situation nicht peinlich sein musste. Seufzend zog er die Gitarre
Weitere Kostenlose Bücher