Sommernachts-Grauen
wusste, wie sehr ihr Vater, ein Beamter, der im Sekretariat des Kultursenators arbeitete und sich dadurch intellektuell als privilegiert ansah, es verachten würde, wenn sie keinen künstlerischen Beruf ergriff. Einzig aus dem Grund hatte sie sich für Jura entschieden. Inzwischen machte es ihr allerdings richtig Spaß, wenn man überhaupt an etwas Freude haben konnte, das mit Arbeit verbunden war.
Sie stieg die Stufen zu ihrer Obergeschoss-Wohnung hinauf, nicht daran denken wollend, wie heiß es darin sein würde und hoffte darauf, dass Claus alle Fenster geöffnet hatte. Aber ganz sicher war er verschwunden und ließ die Wohnung im Zustand sengender Hitze zurück. Dass er nicht da sein würde, davon ging sie mittlerweile aus, denn sie hatte ihn, seitdem er bei ihr eingezogen war, nie wieder angetroffen.
Kapitel 3: Claus
Als ich die kleine Kneipe in der Brüderstraße in der Nähe des Großneumarkts betrat, erkannte ich ihn sofort. Zwar hatte ich ihn zuvor noch nie gesehen, aber er passte zu der Beschreibung, die ich von ihm hatte. Seitdem ich zu Hause ausgezogen war, suchte ich nach einem Mitbewohner. Wenn ich nicht bald einen gefunden hätte, wäre ich gezwungen, ans Schwarze Brett beim ‚ASTA‘ eine Suchanfrage zu hängen und das wollte ich überhaupt nicht. Es wäre mir recht gewesen, allein zu wohnen, aber das konnte ich mir einfach nicht leisten.
Damals war ich bereits 24 Jahre alt und wollte endlich auf eigenen Beinen stehen. Meine Eltern konnte ich schon lange nicht mehr ertragen und sehnte mich nach dem Tag, an dem ich endlich ausziehen würde. Mein Vater, der meinte, ein Intellektueller zu sein und Literatur las, von der ich überzeugt war, dass er kein Wort verstand, und meine Mutter, die kaum eine Gelegenheit ausließ, um mir mitzuteilen, wie unzulänglich ich doch sei, nervten mich so sehr, dass ich beinah gewillt war, selbst in eine WG zu ziehen.
Daher überwog die Freude die Trauer um Großmutter, als ich endlich meine eigene Wohnung beziehen konnte. In kürzester Zeit waren allerdings alle Ersparnisse aufgebraucht. Schließlich musste ich die Wohnung komplett renovieren. Es roch nach meiner Oma, die ich zwar sehr geliebt hatte, aber dennoch wollte ich nicht ständig an ihren Tod erinnert werden. Ein Untermieter musste also dringend her, zumal ich keinesfalls die Arbeitszeit in der Boutique ausweiten wollte. Ein Jurastudium nimmt ohnehin viel Zeit in Anspruch. Unter keinen Umständen wollte ich länger als nötig an der Uni bleiben.
Ein Freund aus der Clique, den ich eigentlich nicht gut kannte, erzählte mir dann von Claus. Der sei schon lange auf der Suche nach einer Bleibe.
„Und was ist das für einer?“, wollte ich wissen.
„Der ist in Ordnung. Kannst dich drauf verlassen.“
„Wieso sucht er denn überhaupt ein Zimmer?“
„Den hat grad seine Freundin rausgeschmissen.“
„Na super. Und so einer, meinst du, ist dann perfekt für mich?“
„Du sollst ihn ja schließlich nicht heiraten. Er sucht doch nur ein Zimmer.“
„Was studiert er?“
„Der studiert doch nicht.“
„Was macht er denn?“
„Er ist KFZ-Mechaniker. Der repariert unsere Autos. Daher dachte ich auch, dass du den kennst.“
„Ich hab doch kein Auto.“
„Ach ja, stimmt, du bist die, die man ständig mitnehmen muss.“
Ich kürzte das Gespräch ab, da es mir ein wenig unangenehm war. Auf der anderen Seite sah ich es überhaupt nicht ein, Geld für einen Wagen auszugeben, da ich sehr zentral wohnte und alles wunderbar zu Fuß oder mit der U-Bahn erreichen konnte.
Auch wenn ich zugeben muss, dass mir ein KFZ-Mechaniker suspekt vorkam, so hatte er immerhin einen Job und würde mir regelmäßig Miete zahlen können. Außerdem erfuhr ich von einem anderen Freund, dass sich Claus mit dem zus ätzlich schwarz verdienten Geld sein Hobby finanzierte. Er schraubte gern an Oldtimern aus den 40er und 50er Jahren herum, machte die alten Karren wieder fit und verkaufte einige dann gewinnbringend. Interessant hörte sich der Typ auf jeden Fall an. Daher entschied ich, ihn mir wenigstens anzusehen.
Claus saß an einem der hinteren Tische in der Kneipe, als ob er nicht gesehen werden wollte, obwohl wir verabredet waren. Trotzdem fiel er mir sofort auf, denn er sah anders aus als die anderen Gäste. Das Publikum war unterschiedlich, aber doch eher studenten-lastig. Und meine Freunde legten alle Wert auf ihr Äußeres.
Jedenfalls wäre niemand auf den Gedanken gekommen Cowboy-Stiefel zu tragen, die
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