Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
ihnen überdachte Plätze auf der Haupttribüne verschaffte. Die Nachmittagssonne strahlte, und Adele geriet nahezu in Verzückung, als sie zum ersten Mal das leuchtend grüne Feld sah. Zwischen der Werferplatte und der home base zerschnitt ein Pfad in Form eines Schlüssellochs die gepflegte Rasenfläche, der – wie auch die Wege zwischen den bases – aus Erde war. Die New Yorker in ihren cremefarbenen Trikots mit braunen Kappen und Strümpfen spielten sich warm und warfen den Ball mit müheloser Anmut und unglaublicher Geschwindigkeit hin und her. Den großen Rasen umgrenzte ein Zaun, der zugepflastert war mit Reklame für alles Mögliche – vom Haarwasser bis zu den Restaurants in Downtown. Gleich dahinter verlief die Eisenbahn, und hinter den Gleisen glitten Lastkähne und Paddelboote über den Allegheny River, und auf der anderen Seite des Flusses lag das eigentliche Pittsburg mit dem Point und dem Trubel der Stadt. Im Exposition Park fühlte Adele sich von all dem weit entfernt, fast so, als befände sie sich auf einem sommerlichen Picknick auf dem Lande. Die Männer hatten gefragt, ob sie ihre Jacken ablegen dürften, es wurde ihnen gewährt. Und so saßen sie nun in Hemdsärmeln da wie zwei Hafenarbeiter. Ein Schwarzer in einem weißen Kittel kam vorbei und bot ihnen eine Tüte gerösteter Erdnüsse zum Kauf an. Alle paar Minuten winkte jemand oder rief Pat und Christy Begrüßungsworte zu, die beiden schienen ganz Pittsburg und Allegheny City zu kennen. Ein Kerl mit Melone und einem dunklen Anzug schlich immer wieder durch den Gang in der Nähe ihrer Plätze, unsicher, ob er sich nähern sollte, bis er regelrecht auffiel. Schließlich erhaschte er Pats Blick und kam zu ihnen.
»Hi, Charlie.« Pat stand auf, um ihn zu begrüßen und ihm die Hand zu schütteln. »Du hast uns hier mit Freundinnen erwischt. Miss Hopkins, Miss Jankowski, das ist Charles Wells. Schön, dich zu sehen, alter Junge, ich hoffe, das Spiel gefällt dir.«
Charlie tippte an die Krempe seiner Melone und kam direkt zur Sache. »Mit wem hältst du heute, Pat? Ich setze einen halben Eagle auf die Giants.« Er hielt die Goldmünze hoch.
»Ach, du bist verrückt. Die können froh sein, wenn sie überhaupt einen Punkt gegen Deacon machen.«
»Phillippe pitcht? Na, dann kannst du ja wetten …«
»Nein.« Pat hob die Hände. »Nein, kein Spielchen für mich heute, Kumpel. Siehst du nicht, dass ich in Begleitung bin? Es sind Damen zugegen.«
»Ach, komm«, sagte Charlie. »Stell dich nicht so an.«
Pat schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Komm, sei doch nicht so, Sportsfreund.« Charlie wandte sich zu Adele. »Wissen Sie denn nicht, dass dieser Typ ein Gauner ist?«
Flink wie ein Wiesel sprang Pat auf, stieg auf die leere Bank vor ihnen und packte Charlie am Kragen. Der Mann mit der Melone schrie, und es sah so aus, als drehte sich das halbe Stadion nach ihnen um; derart umzingelt, ließ Pat ihn los. Rattenschnell jagte Charlie nach unten in Richtung Spielfeld davon. Einer der New Yorker Spieler, ein älterer, beleibter Kerl, der dem Tumult zugesehen hatte, legte die Hände zu einer Flüstertüte an den Mund und rief Pat zu: »Lass doch den armen Hurensohn in Ruhe, du Dummkopf.« Er tat so, als würfe er einen Baseball auf die Leute auf der Tribüne, und alle Fans lachten amüsiert. Selbst Pat, dessen Ärger verrauchte, zeigte lächelnd seine vielen Zähne.
»Na, das ist doch was«, sagte Christy zu ihm. »Das ist der alte John McGraw, der Manager persönlich, der dich da angeraunzt hat.«
Die Pirates liefen aufs Spielfeld, sie trugen ihr traditionelles Weiß mit blauer Kappe, blauem Kragen und den blauen Strümpfen mit den roten Streifen. Aus der Menge erhob sich großes Schlachtgeschrei. An drei, vier Stellen auf der unbedachten Tribüne läuteten junge Burschen mit Kuhglocken, einer hatte ein Kornett an den Lippen und blies ein dreitöniges Heißa. Als Vorspiel vor dem richtigen Spiel warfen die Spieler sich den Ball zu, und der Pitcher ging zur Werferplatte, um den Erdhügel nach seinen Vorstellungen zu formen.
Adele hatte jede Menge Fragen, doch sie verschob sie bis zum Beginn des Spiels, stattdessen ließ sie lieber die unmittelbaren Eindrücke auf ihre Sinne wirken – den Geruch von Erdnüssen und gebratenen Würstchen, von wollenen Anzügen in der sommerlichen Hitze, das Knallen, wenn der Ball den Lederhandschuh traf, den Anblick der Männer, die so fröhlich wie Jungen auf dem frisch gemähten
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