Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
über ihn. Sita war die ganze Nacht bei mir gewesen, nur Sita, die anderen nicht. Ich muss, darauf bedacht, sie nicht zu wecken, aus dem Bett aufgestanden und im Dunkeln zum Bad gewankt sein. Dann stolperte ich über den Kater, schlug mir den Kopf auf und konnte nicht mehr aufstehen.
»Ich kann nicht glauben, dass Jack tot ist«, sagte sie.
Jack, natürlich, sie nannte mich Jack. So heiße ich. Mein Bruder heißt Sam. Er zog aus dem Haus aus, als die Sache zwischen mir und meiner Freundin Sita allmählich ernst wurde. Mit ihr, die nun von mir in der Vergangenheit sprach.
Der Kater las meine Gedanken. »Weil du gegenwärtig bestimmt nicht in der Gegenwart bist.«
»Es ist wie ein schlechter Traum«, sagte sie. »Hätte er dieser Situation nicht etwas Humoriges abgewonnen? Er erwacht aus seinem Traum, nur um aus der Welt zu fallen. Da er doch nichts als ein Träumer war.«
Ihre platte Behauptung überraschte mich. Ich hatte mich selbst immer für einen Mann der Tat gehalten.
»Komm jetzt«, sagte Harpo. »Jetzt gibt es nur noch uns beide. Mit mir kannst du ganz offen reden.«
Eine Debatte mit einem Kater kam nicht infrage, doch ich hatte das Gefühl, ich sollte ihm zumindest meine Dankbarkeit ausdrücken. »Danke jedenfalls, dass du mich vorhin gerettet hast. Vor der verrückten Frau mit der Knarre.«
Er würgte einen Haarballen heraus. »Keine Ursache, Kumpel. War nur ein Zufall, dass ich da überhaupt aufgetaucht bin.«
Endlich räusperte sich Sam. »Er war ein Träumer, aber ein äußerst ernsthafter. Als kleiner Junge tat er nichts lieber, als ausgefeilte Entwürfe aus seiner Fantasie auf dieses braune Papier, das ihm unsere Mutter gab, zu zeichnen. Seit Jack zeichnen konnte, saß er am Schreibtisch unseres Vaters und skizzierte seine Träume.«
Ich hatte Träume, richtig. Wolkenkratzer, Museen, ganze Städte und Städte, die mit anderen Städten verbunden waren. Oder einfach das perfekte Haus.
»Ich habe oft geträumt, ich sei etwas Besseres«, sagte Harpo. »Schau mich nicht so ungläubig an. Du weißt doch, Katzen haben neun Leben.«
»Dann besteht ja noch Hoffnung für dich.«
»Selbst Hauskatzen träumen davon, ein Tiger zu werden. Solange die Chance besteht, noch einmal von vorne anzufangen, gibt es Hoffnung, Kumpel.« Dann begann Harpo sein Fell am Schwanzansatz zu lecken, der erste Schritt eines Pflegerituals, das immer ewig zu dauern schien. Ich konnte nicht hinsehen, denn es schlug mir immer ein wenig auf den Magen.
Meine Aufmerksamkeit wanderte nun zu der Unruhe, die im Erdgeschoss herrschte. Die Stimme eines Mannes, vom Alkohol laut, setzte zu einer zweifelhaften Geschichte an, die das Trauerhaus unterhalten sollte. Ich überlegte, wer noch zu der Beerdigung gekommen war, aber ich wusste, dass ich das Zimmer nicht verlassen sollte. Ich wollte Sita in den Arm nehmen und trösten, meinem Bruder einige Worte sagen, doch es gab keine Möglichkeit, dies von meiner Ebene aus zu tun. Diese ganze geisterhafte Situation – oder wie immer man es nennen will – ist ziemlich frustrierend.
»Als wir uns kennenlernten«, sagte Sita, »war er sehr lustig, charmant und klug. Ich bin so wütend, dass er mich ganz allein lässt. Was soll ich denn jetzt tun?«
Mein Bruder wusste keine Antwort.
Sie dachte über sein Schweigen nach und faltete die Hände wie zum Gebet. »Ich muss dir eine Geschichte erzählen«, sagte sie. »Über deinen Bruder und mich.«
Mit einer Geste, die ich in dieser Nacht schon gesehen hatte, lehnte Sam sich in die Kissen zurück und machte es sich für die Geschichte bequem.
Kapitel sechzehn Nun geht es wieder los
M ein Vater stammt aus der alten Heimat. Er kam als junger Mann nach Amerika, um Medizin zu studieren – zu einer Zeit, als das für einen Bengalen noch außergewöhnlich war. Aber er ist ein sehr kluger Mann, er arbeitet hart und ist fest entschlossen, Erfolg zu haben. Der amerikanische Traum, nicht wahr? Eines Tages, als er ein junger Assistenzarzt war, humpelte eine Patientin mit gebrochenem Fuß herein. Sie lächelte den schönen Arzt an. Von ihrem Akzent verzaubert, blieb er eine Weile an ihrem Bett. Eine Einwanderin, die aus Polen geflohen war, und als ihr der Gips abgenommen wurde, lud sie ihn ein, mit ihr auszugehen. Ich stelle mir vor, dass die beiden schon mit ihren kulturellen Verschiedenheiten zu kämpfen hatten, und dazu noch die Sprache und die fremden Sitten in Amerika! Es ist immer noch schwer zu verstehen, was sie zueinanderzog. Gegensätze ziehen
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