Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
vervollständigt. Niemand zuckte mit der Wimper, als ich mich als Sita vorstellte. Ich war einfach nur eine weitere Mitbewerberin. Unsere ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, gute Noten zu erreichen und nach dem Abschluss einen Job zu bekommen. Und alle waren so ernst, so gescheit und überlegen. Jede Menge Druck, sich gut darzustellen, zum ersten Mal im Leben fühlte ich mich völlig überfordert. Und genau im schlimmsten Augenblick, als ich mich im Studium abmühe und mich Zukunftssorgen quälen, taucht Matthew auf.
Sie hatte mir schon früher alles von Matthew erzählt. Die unvermeidlichen Gespräche bei den ersten Verabredungen über unsere elende Vergangenheit, die Litanei der Exfreunde. Wir waren im Skulpturengarten der National Gallery of Art, warteten darauf, dass ein kostenloses Sommer-Jazzkonzert beginnen würde, in der Mitte der Plaza sprudelte die große Fontäne, die Touristen belegten im Rund der Steinbänke bereits ihre Plätze. Ein Wildentenpaar paddelte umher, und Kinder jeden Alters ließen ihre nackten Füße im Wasser baumeln. Eine Schar Spatzen hüpfte auf der Erde umher und bettelte um Almosen. Unter den Dutzenden Müßiggängern war ein schmuddeliger Kerl in einem schwarzen T-Shirt und Jeans, die großen, behaarten Füße in Sandalen und die Sonnenbrille oben ins Haar geschoben. Er schlenderte vorbei, quasselte in sein Handy, und Sita stöhnte, als er vorüberging.
»Kennst du den?«, fragte ich.
Sie beugte sich vor und verbarg das Gesicht hinter ihren langen, dunklen Haaren. »Eigentlich nicht. Er erinnert mich nur an jemanden, den ich kenne. Kannte. An einen alten Freund.«
»Oh.«
Die Geschichte entfaltete sich zu den synkopischen Rhythmen des Jazzensembles, zwischen den Songs und später in der U-Bahn auf dem Heimweg. Nicht, dass ich Details wissen wollte, doch aufgrund meiner Fragen gab sie einen groben Abriss, und nachdem unser Gespräch beendet war, erwähnte sie Matthew nie wieder. Sie hatten sich an der Rhode Island School of Design kennengelernt. Und offenbar war dieser Bursche ein Liebling der Götter, ein kreatives Genie, der brillanteste Architekt, den es je gab, und die erste Liebe ihres Lebens. Sie zogen zusammen, schmiedeten Pläne, doch sie waren noch Kinder. Die Monate vergingen, und sie erzählte mir, dass er aus irgendeinem Grund ausflippte und sie ihn verließ. Und es verging eine lange Zeit, bis Sita über ihn hinwegkam. Es wunderte mich, dass sie auf meiner Beerdigung Sam gegenüber diese alte Flamme wieder zum Thema machte.
Der Kater stand auf und zischelte ungehalten: »Du hast hier gar nichts zu melden, Kumpel. Wenn man deine eigene bewegte Vergangenheit in diesen vielen Jahrhunderten bedenkt.«
»Stimmt, aber dennoch. Etwas Anstand, bitte. Die Blumen sind noch nicht verwelkt, und die Gäste stürzen sich unten noch auf die Cocktailhäppchen.«
»Glaubst du, du bist der Einzige mit einem gebrochenen Herzen?« Harpo drehte mir den Rücken zu und legte sich in den Sonnenstreifen.
Matthew war Architekt, wie Jack, doch da hört die Ähnlichkeit auch schon auf. Wo Jack ein Träumer war, war Matthew ein Macher. Er hatte härtere Ecken und Kanten, war konkurrenzorientierter, manchmal richtig bösartig, aber er war der Beste der Klasse, zu Höherem berufen in einem der großen Designunternehmen von New York. Wir verliebten uns im ersten Semester und zogen gleich in diesem ersten Uni-Jahr zusammen. Mir gefielen seine manische Energie und seine Zielstrebigkeit, und alles fing zunächst aufregend und gefährlich an. Matthew war ein kreatives Genie, doch in solchen Menschen leben oft Dämonen. Sein Dämon war die Eifersucht. In den letzten Monaten wurde er wegen allem, was ich tat, immer paranoider. Einer der Beteiligten an meinem Gemeinschaftsprojekt war einfach ein netter, freundlicher Typ, und wir arbeiteten lange gemeinsam an einem Entwurf für ein neues Modell von Sozialwohnungen. Doch Matthew beschuldigte mich, ich schliefe mit dem harmlosen Jungen, was lächerlich war. Und trotz meiner Proteste glaubte er nie wirklich an meine Unschuld. Ich würde so etwas nie tun. Und dann, eines Nachts, bei einem Streit wegen dieser selben alten Sache, schlug mich Matthew. »Sag mir die Wahrheit«, schrie er, und ich sagte, »aber es gibt nur dich«, und er schlug mich mit dem Handrücken. Bist du je von jemandem geschlagen worden, den du liebst? Es tat weh – ja, Blut floss aus meiner Lippe –, doch der Schock drang bis in meine Seele. Und die Absurdität der Situation:
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