Sommernachtszauber
Schwarzweißfoto. Natürlich, jetzt merkte sie, dass es Cora zeigte. Sie hatte schon genug alte Fotos von Cora gesehen, um ihre Großtante zu erkennen – aber auf den ersten Blick hätte auch sie selbst es sein können: dasselbe ovale Gesicht, dasselbe wuschelige dunkle Haar, derselbe entschlossene Gesichtsausdruck.
Hilton streichelte den Anhänger. »Cora war ein schönes Mädchen, genau wie Sie, und ich hab sie von ganzem Herzen geliebt. Aber sie hat es nie erfahren – nicht wirklich. Als ihr junger Mann im Krieg ums Leben kam, hat es ihr das Herz gebrochen, und sie ist nie darüber hinweggekommen. Danach hatte sie keine Augen mehr für andere Männer, auch nicht für mich. Dass ich dieses Foto besitze, wusste sie gar nicht. Ich hab es neunzehnhundertsiebenunddreißig bei einem Picknick aufgenommen – Jahre später hat sie mir zusammen mit anderem Kram für einen Trödelmarkt im Dorf dieses Medaillon gegeben. Ich hab’s behalten, auch wenn es vielleicht nicht ganz korrekt war, und das Foto reingetan …«
»Und seitdem tragen Sie es? Haben Sie denn nie eine andere Frau angesehen? Nie eine andere geliebt?«
Hilton schüttelte den Kopf und schloss den Anhänger mit einer zärtlichen Geste. »So ist es, Sukie. Aber ich wär froh, wenn Sie das bitte für sich behalten. Ich hab dieses Geheimnis mein Lebtag keinem verraten, außer meinen Brüdern, und so soll es auch bleiben.«
»Ja …« Sukie tätschelte seine Hand. »Ja, natürlich. Ach, Hilton – warum ist das mit der Liebe immer so schrecklich traurig?«
»Nicht immer, Schätzchen. Sehn Sie sich Claridge und Savoy und Dorchester an – sind neuerdings ausgelassen wie junge Hunde. Auch Ken und Tom haben zueinandergefunden – sogar Bert hat sich mit dieser Brenda aus Hassocks zusammengetan, die aussieht wie der griechische Sänger Demis Roussos. Ganz zu schweigen von Mrs Benson und ihrem Freddo – ein starker Typ, und er macht sie richtig glücklich. Sehn Sie, es ist nicht alles ein Trauerspiel.«
»Sind Sie denn zufrieden damit, ich meine, nicht verliebt und stattdessen allein zu sein?«
»Liebe Güte, Schätzchen, natürlich! Ich bin gesund und hab den Pub und meine Brüder und meine Freunde. Mir hat es all die Jahre genügt, Cora in meiner Nähe zu wissen und ihr Kamerad zu sein.«
Als Hilton abzog, um weitere Kunden zu bedienen, fühlte sich Sukie noch elender als zuvor. Sie stützte die Ellbogen auf den Tresen und scherte sich keinen Deut mehr darum, wie klebrig er war. Würde sie damit leben können? Als gute Freundin in Derrys Nähe zu sein? Ihm zu begegnen, mit ihm zu sprechen und mit ihm zu lachen, aber ihn niemals lieben zu können?
Traurig schüttelte sie den Kopf. Nein, das könnte sie nicht.
»Sukie!« Valerie Pridmore winkte ihr von Weitem zu. »Sukie!«
Sukie hatte wenig Lust, sich den Dartsspielern anzuschließen, und winkte teilnahmslos zurück.
»He, Sukie!« Val winkte immer wilder. »Komm mal schnell her!«
Seufzend, weil sie wusste, dass sie in ein endloses Dartsspiel verwickelt werden würde, was sie gelinde gesagt verabscheute, rutschte Sukie von ihrem Hocker und drängte sich durch die Gästeschar des Barmy Cow .
Val packte sie am Arm und zerrte sie in eine etwas ruhigere Ecke. »Ist Milla daheim?«
»Was? Ja...« Sukie wollte gar nicht daran denken, was zu Hause vor sich ging, und machte ein finsteres Gesicht. »Wieso?«
»Weil der Herr da drüben, der gerade mit Joss und Freddo spricht, nach ihr sucht. Hat gesagt, er glaubt, dass sie hier im Dorf wohnt, weiß aber nicht, wo. Hat gesagt, er versucht, sie zu erreichen. Aber falls er nicht ganz koscher ist, wollte ich ihm lieber nicht gleich deine Adresse geben. Was meinst du?«
»Wahrscheinlich einer, den sie in einem Nachtclub aufgerissen und dann wieder vergessen hat.« Sukie zuckte die Schultern. »Am besten keine Auskunft geben. Wirkt er wie ein Stalker?«
»Er ist absolut hinreißend, wenn du mich fragst – vielleicht nicht ganz so ein Leckerbissen wie Derry, aber ziemlich nah dran. Und mächtig vornehm, kann ich dir sagen.«
Ach je, dachte Sukie – wahrscheinlich der glatzköpfige, zahnlose, mehrfach verheiratete Baron, den Millas Mutter gern als Schwiegersohn hätte.
Müde schüttelte sie den Kopf. »Sag ihm nichts. Außerdem ist Milla heute Abend mit Derry zusammen, und an einem Dreier hat sie bestimmt kein Interesse.«
»Sag das nicht«, kicherte Val. »Wirf mal kurz’nen Blick auf ihn, Sukie. Na, was meinst du? Würdest du den von der Bettkante
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