Sommernachtszauber
dass sie gar nicht wusste, ob sie das alles würde runterschlucken können. Ach, zum Teufel mit Moral und Ethik! Hier ging es um Selbsterhaltung!
Sie sah zwischen den hohen Sträuchern zum Himmel empor, ein heller Fleck in Blau, Grau, Rosa und Flieder. »Okay – was wenn – nur mal angenommen – wenn wir alle Zweifel einen Moment lang beiseiteließen und du die Wahl hättest, dich zwischen den beiden zu entscheiden? Mit welchem Mann würdest du dein Leben verbringen und ihn ewig lieben wollen? Derry oder Bo-Bo?«
Milla antwortete nicht und ließ den Chardonnay in ihrem Glas kreisen. Sukie konnte es nicht mehr ertragen. Sie hatte Chelsea versprochen, den Liebeszauber an Milla nicht ohne deren Wissen auszuprobieren – aber sie hielt es einfach nicht länger aus.
Sie stellte ihr Glas vorsichtig auf den unebenen Tisch und stand auf. »Nein, sag es mir nicht. Gib keine Antwort auf diese Frage. Bitte nicht. Und warte mal einen Augenblick …«
Eine verwunderte Milla zurücklassend, eilte sie ins Haus.
Es gab wohl keine andere Methode, um sich Klarheit zu verschaffen. Auch wenn es vielleicht eine unübliche Methode war, aber Cora hätte sicher genauso gehandelt. Cora hatte gedacht, dass Sukie die Geheimnisse von Pixies Laughter niemals lüften würde, aber sie war doch dahintergekommen – und hatte bislang nur Gutes damit bewirkt. Wer könnte ihr einen Vorwurf machen, wenn sie nun auch ihrem eigenen Glück ein wenig auf die Sprünge helfen wollte? O Gott, wo hatte sie nur das Fläschchen hin, das sie bei Chelsea verwendet hatte? Wo? In welcher Tasche steckte es? Warum hatte sie nur so viel Wein getrunken? Warum konnte sie nicht mehr klar denken? Sie musste eine neue Tinktur herstellen …
Wie ging der passende Vers? Wie lautete das Rezept? Wusste sie es noch – oder musste sie erst wieder im Handarbeitskorb kramen? Ach nein … dort lag nur das Gedicht, aber ohne die Zutatenliste war es nutzlos. Und die Zutaten standen auf diesem Papierfetzen – wo hatte sie den bloß hingetan? So ein verdammter Mist aber auch!
Sie versuchte sich zu erinnern, aber in dem Wissen, dass Milla jeden Moment die Geduld verlieren und in die Küche kommen könnte und womöglich den Namen nennen würde, den sie nicht hören wollte, kam Sukie immer nur der Vers über Rosmarin und Koriander in den Sinn, sodass sie schließlich aus lauter Verzweiflung laut vor sich hin murmelte: »Cora, wenn es auch nur halbwegs vertretbar ist, was ich vorhabe, dann hilf mir bitte!«
Und auf einmal war sie ganz gefasst. Ruhe kehrte ein. Und die Worte standen ihr klar vor Augen, so deutlich wie alle Reime ihrer Kinderzeit:
So viele Menschen sind einsam.
So viele gebrochene Herzen,
so viele Liebende in Schmerzen,
so viel Kummer und Leid
sind vielleicht morgen schon geheilt.
Wie groß die Entfernung auch mag sein,
die Liebe kommt heim über Stock und Stein.
Glaube an der Pflanzen Kräfte,
an der Blumen duftende Säfte
bringt wahrhaft Liebende einander zurück,
sodass sie vereint in ewigem Glück.
Ohne Tränen, ohne Pein
werden sie unzertrennlich sein.
Zittrig rieb sich Sukie die Augen. Die Liste der Zutaten und Coras abschreckende Warnung waren nun ebenfalls unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingraviert …
Entfernungs-Liebestränke sind hochwirksam, stellen jedoch einen starken Naturzauber dar, und man sollte nur als allerletztes Mittel darauf zurückgreifen, um Liebende zusammenzuführen.
Sie dürfen nur angewandt werden, wenn unumstößliche Gewissheit besteht, dass das Endergebnis auch wirklich den persönlichen Wünschen entspricht, denn sie können nicht rückgängig gemacht werden.
Man nehme: 3 Tropfen Ingwer, 2 Tropfen Rosmarin, 2 Tropfen Jasmin, 1 Tropfen Klee, 1 Tropfen Zimt, 1 Prise pulverisierte Alraune und vermische die Zutaten mit Mandelöl. Die Tinktur sollte an einem Pulspunkt in die Haut eingerieben werden, vorzugsweise am linken Handgelenk, denn von dort gelangen die Pflanzenkräfte direkt zum Herzen eines der getrennten Liebenden, während dieser sich innerlich das Bild des Geliebten vor Augen hält. Die beiden werden unfehlbar in immerwährender Liebe vereint werden.
Nach hektischem Kramen im Küchenschrank förderte Sukie die benötigten Essenzen sowie eine Flasche Basisöl zu Tage. In Windeseile bereitete sie die Mischung zu, kleckerte dabei alles voll und dachte sich, dass es wahrscheinlich ganz verkehrt war, was sie da machte, und es ihr für ewig das Herz brechen würde.
Aber sie musste es wissen.
Milla blinzelte
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