Sommernachtszauber
aufwecken? Die Polizei rufen? Schreien?
Nein, um zu schreien, war es zu spät, und sie hatte ohnehin wenig Talent für dramatische Auftritte. Außerdem würde es Ewigkeiten dauern, bis die Polizei eintraf, und dann wären wahrscheinlich Formulare auszufüllen und jede Menge Fragen zu beantworten, und sie war viel zu müde, um all das auch nur in Erwägung zu ziehen. Vielleicht wäre es das Beste, einfach wieder aus dem Zimmer zu schleichen, die Tür von außen zu versperren, abzuwarten, bis er wieder zu sich käme, und dann erst Fragen zu stellen.
Sukie stellte ihre Reisetasche leise auf dem Fußboden des Schlafzimmers ab, fummelte mit angehaltenem Atem den altmodischen Schlüssel aus dem Schloss, knipste das Licht aus und schlich rückwärts aus dem Zimmer. Als sie von außen die Tür zusperrte, zitterten ihr die Hände. Verflixt … Viel zu laut … Sie hielt inne und wartete auf einen Donnerhall, doch kein zorniger Schrei ertönte aus ihrem Bett. Also steckte sie den Schlüssel in die Hosentasche ihrer Jeans und lauschte erneut. Noch immer kein Laut jenseits der Tür. Der Eindringling war offenbar ziemlich erschöpft.
Doch bestimmt nicht so erschöpft wie sie selbst. Zum gegebenen Zeitpunkt schien es eine gute Idee gewesen zu sein, noch in der Nacht von Newcastle nach Berkshire zurückzufahren. Ihr dreitägiges Seminar – »Aromatherapie für Fortgeschrittene: ätherische Öle und Aufgüsse im 21. Jahrhundert« – war spät am vergangenen Abend zu Ende gegangen. Die Kursteilnehmer waren zwar anschließend noch zu einem nächtlichen Stadtbummel eingeladen worden, durch alle heißen Clubs, die der Quayside Complex zu bieten hatte, einschließlich der verlockenden Aussicht, an jeder Ecke berühmte Fußballer oder Fernsehstars zu erspähen. Doch nach drei intensiven Lerntagen, an denen sie Vorträgen gelauscht, praktische Übungen absolviert und eine ziemlich knifflige Abschlussprüfung geschrieben hatte, und drei Abenden, an denen sie nach den Unterrichtsstunden mit mehreren gleichgesinnten Kosmetikerinnen durch die Pubs und Clubs in Newcastle gezogen war, um keine Gelegenheit zum Flirten auszulassen, wollte Sukie nur noch eins: heim nach Bagley-cum-Russet, ins Bett kriechen und eine Woche lang schlafen.
Was jetzt aber nicht ging.
Natürlich konnte sie auch in Millas Bett schlafen, denn Milla würde erst im Laufe des nächsten Tages von einer Junggesellinnenparty in Dublin zurückkommen, aber mit einem fremden Mann im Haus war das vielleicht keine so tolle Idee.
So ein Mist …
Müde bis auf die Knochen und eher verärgert als verängstigt – schließlich war die Schlafzimmertür fest verschlossen, und das jahrhundertealte und vielfach überstrichene Fenster ließ sich nur wenige Zentimeter öffnen, sodass der Eindringling fürs Erste sicher verwahrt war – ging Sukie auf Zehenspitzen treppab.
Der schlafende Mann im Obergeschoss hatte der großen Freude, die Sukie sonst immer empfand, wenn sie in das Cottage mit dem seltsamen Namen Pixies Laughter zurückkehrte, einen Dämpfer verpasst. Es war ihre Zuflucht, ihr wahres Zuhause, ein Ort, den sie von ganzem Herzen liebte.
Sie konnte es grundsätzlich nicht leiden, wenn jemand ungebeten ihr Allerheiligstes betrat, und das Eindringen eines nackten Unbekannten warf sie völlig aus der Bahn. Was in aller Welt, dachte sie mit müdem Grinsen, hätte ihre Patentante in dieser Lage wohl getan?
Cora, Sukies exzentrische Großtante mütterlicherseits und ihre Taufpatin, hatte ihr ganzes chaotisches Leben lang in Pixies Laughter gewohnt. Sukie hatte sie innig geliebt und unter diesen niedrigen Balkendecken idyllische Kindheitsstunden bei ihr verbracht, sich im Winter vor das Kaminfeuer gekuschelt und sich in langen heißen Sommern im Garten mit wilden Abenteuerspielen vergnügt.
Als Sukies ehrgeizige Eltern, die am anderen Ende des Dorfes in einer bis aufs i-Tüpfelchen durchgestylten und pingelig ordentlichen modernen Doppelhaushälfte wohnten, das Cottage erbten, hatten sie sofort Pläne geschmiedet, es zu modernisieren und dann für einen horrenden Preis an Neuankömmlinge zu verkaufen.
Entsetzt über die Vorstellung, Coras Zuhause, den Ort glücklicher Erinnerungen und Unterschlupf ihrer Kindheit, zu verlieren, hatte Sukie gebettelt und gefleht und ihre Eltern schließlich davon überzeugt, dass sie selbst die ideale Käuferin für Pixies Laughter war. Nach zähen Verhandlungen einigte man sich auf einen Preis, der weit unter dem lag, was die Ambroses aus
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