Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
sich umsah, erblickte sie Emily, die mit dem Rücken zu ihr stand. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was das Mädchen getan hatte, doch offenbar hatte sie sie wieder einmal unterschätzt, denn Laris lag am Boden und wand sich vor ihr wie eine Made. Der Triumph über ihn war allerdings nicht von langer Dauer und schon nach wenigen Sekunden sprang er wieder auf die Beine, um auf die Kleine loszugehen. Und im selben Augenblick erkannte Arrow, dass es keineswegs glückliche Umstände waren, die Emily diese Kräfte verliehen hatten. Wie schon bei ihrem ersten außerplanmäßigen Ausflug hatte sich auch jetzt ein dunkles Wesen in ihr eingenistet. Aus ihren ebenfalls schwarzen Augen funkelte sie Laris an und schrie, während er auf ihr saß und seine Hände um ihre Kehle legte. Als könnte das irgendetwas bewirken, schließlich war das Mädchen längst schon tot, dachte Arrow. Dennoch wusste sie, dass es nun an ihr war zu handeln. Einer von beiden würde diesen Kampf nicht überleben und wenn doch, hatte der Dämon in Emily vermutlich so viel Macht über sie, dass er sich schlimmstenfalls mit Laris verbünden würde. Immerhin entsprang ihr Wesen gleichermaßen der Unterwelt und durfte unter keinen Umständen unterschätzt werden.
Hilfesuchend schaute Arrow sich nach dem nebelhaften Wesen um. „Wir müssen ihr irgendwie helfen!“, rief sie. „Meine Möglichkeiten sind begrenzt, denn du besitzt all unsere magischen Kräfte.“
Das Wesen musterte sie ängstlich. Vielleicht war es zu viel von ihr verlangt, denn schließlich bat sie ein Kind darum, Emily und den Rest der Welt vor dem personifizierten Bösen zu retten. Doch Arrow hatte keine andere Wahl, denn allein würde sie es niemals schaffen.
„Bitte! Ich weiß, dass du es kannst!“
Der Blick des Kindes glitt hinüber zu Emily und wieder zurück zu Arrow. Die Sekunden vergingen und Emily war regelrecht anzusehen, wie sich der Dämon mehr und mehr in ihr einnistete. Und als Arrow schon die Hoffnung aufgeben wollte, begann das Wesen aus Leibeskräften zu schreien. Seine Stimme war ganz anders, als Arrow es vermutet hätte, denn sie war nicht dunkel, wie man es sonst von Kreaturen dieser Größe gewohnt war, nein, es rief mit der reinen, hellen Stimme eines Kindes und dies so kraftvoll, dass der Boden unter ihnen erzitterte. Alsbald tat sich die Erde vor ihnen auf und aus einem Loch, so groß wie ein See, kletterte eine Gestalt, die Arrow vor Ehrfurcht erzittern ließ.
„Die Abaläe“, flüsterte sie ungläubig.
Sie sah nicht anders aus als zuvor. Noch immer aus dem reinsten, weißen Schnee gearbeitet, den Körper in einen Umhang und den Kopf in eine Kapuze gehüllt, stieg sie mit der Maske auf ihrem Gesicht empor und ging geradewegs auf Laris zu. Mit einem Ruck packte sie ihn an den Haaren und schleifte ihn mit sich an den Ort, von dem sie gekommen war. Der Elf jedoch klammerte sich noch immer mit aller Macht an Emily, die unheilvolle Laute ausstieß und sich zappelnd von ihm mitschleppen ließ.
Eilig lief Arrow ihnen nach, denn sie wusste, was immer die Abaläe mit Laris vorhatte, würde unweigerlich auch Emilys Schicksal werden, und das durfte sie keinesfalls zulassen.
Sie lief den Geröllhaufen hinunter, den die Schreie ihres kindlichen Selbst hinterlassen hatten, so schnell sie ihre Beine tragen konnten. Um sie herum fielen noch immer einige Gesteinsbrocken das Gefälle hinunter und obwohl ihr bewusst war, dass sie jederzeit von einem erfasst werden könnte, versuchte sie, es auszublenden. Sie durfte jetzt nicht zögern, keine Zeit verlieren. Emily brauchte sie in diesem Moment und das genauso sehr, wie sie Emily immer gebraucht hatte. Vom ersten Augenblick, da sie ihre Schreie während der Wilden Jagd vernommen hatte, war das Mädchen ihre stille Weggefährtin. Denn obwohl sie so ein tragisches Schicksal erlitten hatte, hatte es Arrow Kraft gegeben, ihr zu lauschen. Zu wissen, dass sie immer da sein würde, hatte etwas Beständiges in ihr Leben gebracht. Und selbst, wenn Emily den Holunderwald eines Tages verlassen würde, würde sie zweifellos in das Himmelreich eintreten, denn sie besaß Mut und Stärke solchen Ausmaßes, dass Arrow sich stets ein Beispiel an ihr genommen hatte. Ohne sie hätte sie vielleicht nicht die Kraft gehabt, das alles durchzustehen und nun war es an ihr, dem Mädchen etwas davon zurück zu geben. Denn ihre unsterbliche Seele war durch den Dämon in Gefahr zu schwinden. Sobald er sich in ihrem Geist eingenistet und die volle
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