Sommerstueck
Unnatürliches. Zuerst hat sie mir ihren Garten gezeigt – der ist so schön, du kannst es dir nicht vorstellen. Alle Kräuter und alle Blumen. Und dann in der Küche die getrockneten Kräuterbündel an der Decke aufgehängt. Der Duft. Und alles so reinlich, dabei ganz einfach. Ruhig hat sie mich angehört. Sie hat gute Augen. Man denkt, aber jetzt lach nicht, daß sie alles von einem weiß. Dann hat sie mit einem Schäufelchen ein bißchen Asche aus ihrem Herd genommen, weiße saubere Asche, und damit hat sie die kranken Stellen an meinen Körper bestrichen. Dazu hat sie mehrmals einen Spruch gesagt, der steht in Sütterlinschrift in einem alten Oktavheft. Was glaubst du, wie leicht ihre Hände sind. Ich ekelte mich nicht, und ich glaubte, ich müßte mich vielleicht nie mehr ekeln. Nach drei Tagen werde es sich zurückziehn. Und ob es mir nicht guttun würde, die drei Tagemal zu schweigen. Da wußte ich auf einmal: Das war es, was ich brauchte, und es war so schön und leicht.
Jetzt würde Antonis sagen, nächstens werde seine Frau wochenlang nicht mit ihm sprechen, bloß weil eine alte Hexe es ihr befohlen habe. Er sagte es. Bei uns in Griechenland, sagte er, kriegte die aber Schwierigkeiten. Wo die Menschen sich so fürchten vor dem bösen Blick. Luisa erschrak für die Frau aus Wimmersdorf, die niemals in ihrem Leben nach Griechenland kommen würde, auf ihrer inneren Bühne lief, unabänderlich, das grausame Schicksal der Hexe ab, sie fühlte Antonis’ Blick auf sich, während der den anderen Rede und Antwort stand: Das wisse er noch, die Sache mit dem bösen Blick? – Er wisse alles. – Aber du warst zwölf Jahre, als ihr aus Griechenland weg mußtet. – Na und? Ist ein Zwölfjähriger nicht ein fertiger Mensch? – Im Süden vielleicht.
Fix und fertig, dachte Luisa. Sehr genau hörte sie den gereizten Ton aus Antonis’ Stimme, wenn er jetzt von Griechenland sprach. Die Junta war gestürzt, das so lange niedergehaltene Heimweh zerfleischte ihn, er wartete auf seinen Paß. Wenn er nur fahren könnte, sagte in Luisa eine zitternde Stimme. Wenn er nur wiederkommt. Jemand, hörte sie Ellen, habe ihr gesagt, heutzutage finde man in jedem Dorf die Probleme der ganzen Welt.
Schließt die Augen. Versetzt euch in einen der nächsten Abende. Auf dem Tisch liegt Antonis’ griechischer Paß mit seinem Einreisevisum für Griechenland, jeder von uns nimmt ihn in die Hand, jeder betrachtet gründlich den Stempel. Die Großmutter bringt eine große mit Spinat gefüllte Pita heraus, in ihrem schwarzen Kleid –sie trägt schwarz, seit ihr Vater starb – mit ihrem schnellen mädchenhaften Gang. Sie kann nicht lesen und schreiben, sie besieht sich das Paßfoto, vergleicht es mit Antonis’ Gesicht. Gut! sagt sie, wir wissen nicht, meint sie das Aussehen ihres Enkels oder die Ähnlichkeit der Fotografie. Nicos, der Freund von Antonis, wirft den Paß auf den Tisch und sagt etwas auf griechisch zu Antonis, in vollem Ernst, wie uns scheint. Als wir fragen, was er gesagt hat, lacht Antonis. Es sei ungehörig, habe Nicos gesagt, daß er, der Jüngere, vor dem älteren Nicos nach Griechenland fahre. Alle lachen wir ein bißchen, aber wir wissen genau, an diesem Abend kann Nicos keine Scherze machen, noch weniger als sonst.
Dies wurde ein Fest mit Rotwein und Retzina, mit griechischem Huhn und grünem Salat, mit Musik und Tanz, mit Streit und Versöhnung.
Ellen hatte sich so gesetzt, daß sie den Mond im Auge behielt, einen fast fertigen Vollmond, der schon den ganzen Nachmittag über am Himmel stand und sich allmählich aus dem Blau, das verblich, mit Leuchtkraft auffüllte. Ihre Stimmung war zwiespältig, kein Wort, das sie kannte, paßte auf sie. Ein Abend wie dieser konnte, selbst mit den gleichen Menschen, in einer Großstadtwohnung niemals der gleiche Abend sein. Man gibt sich anders unter freiem Himmel, dachte Ellen, die Stimme klingt anders, wenn man weiß, daß im Umkreis von einem Kilometer außer uns keine Menschen sind. Die ganze Zeit über, auch später, als sie ins Haus gegangen waren, weil es kühl wurde, vergaß sie den Mond draußen nicht, seine Unverwandtheit und seine ironische Distanz. Abwesend aß sie das mitZitrone gewürzte Huhn und die kleinen Gerstennudeln dazu, strich sich die stark duftende Knoblauchpaste auf das mecklenburgische Vollkornbrot. Ist dir was? fragte Jan sie leise, eine in Jahrzehnten Hunderte von Malen wiederholte Frage, und sie erwiderte, Hunderte von Malen: Was soll sein? Nichts.
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