Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
Vom Netzwerk:
Und Jan verzog, wie immer, das Gesicht, er litt nicht, daß sie auf Abstand ging, und sei es für Stunden. Jan fühlte sich wohl, das war zu wenig gesagt, aber warum die eigenen Gefühle hochtreiben, warum sich so wichtig nehmen. Jan sah, wie die Großmutter die Männer am Tisch bediente. Sie lud alle nach Griechenland ein. In ihrem eigenen Haus werde sie ihnen das feinste Essen kochen, das sie je gegessen hätten. Weißt du, wie das Haus aussieht? sagte Luisa leise zu Jan. Eine Ruine. Sie glaubt es nicht. Jan sah die Großmutter zu ihrer Ruine nach Hause kommen. Man wußte nicht, was man ihr wünschen sollte. Jan konnte sich selbst vergessen. Er nahm Antonis das Versprechen ab, ein Fäßchen Retzina mit zurückzubringen, und erörterte ausführlich mit Gabriele, wie sie ihre Beziehungen zu den Hafenbehörden verschiedener Länder ausnützen könnte, den Transport zu sichern. Mit der letzten Flasche Retzina wurde der Plan begossen. Jan aß genußvoll die blauen Oliven und den bleichen Tintenfisch dazu und schwieg, während die anderen alle gleichzeitig anfingen, laut zu reden. Er sah, daß auch Ellen Lust gehabt hätte, betrunken zu sein, zu lachen und zu singen, und daß es ihr nicht gelang. Der Aufpasser in ihr schrumpfte auf die Größe einer Nuß, blieb aber wach und scharf. Sie haßte ihn. Sie legte ihre Hand Jan an die Schläfe, der rieb seinen Kopf an der Hand. Man zog um ins Haus.
    In der Küche, als sie das Geschirr zusammenstellten, fragte Luisa Ellen, ob sie das gehört habe, von der Frau im Tschad. Sie müsse immer an sie denken. Ob man sie wirklich töten werde. Gabriele war gerade zu Verhandlungen über Schiffsladungen in Stockholm gewesen und hatte die Nachricht nicht verfolgt; der Tschad verlangte ein hohes Lösegeld für die Herausgabe einer gefangengesetzten französischen Soziologin. Wahrscheinlich spielten die westlichen Sender die Angelegenheit absichtlich hoch, sagte Gabriele. Auch Ellen glaubte, daß es sich um eine nicht ganz ernst gemeinte Drohung handele. Meint ihr das wirklich? sagte Luisa ungläubig, forschte in ihren Gesichtern mit ihren erschrockenen dunklen Augen. Hast du sie im Fernsehen gesehen? Was sie für ein schönes starkes Gesicht hat, und was für kräftiges Haar. Meint ihr, sie steht es durch? – Du Kind, dachte Ellen zärtlich und suchte in sich die Spuren jener Zeit, in der auch sie eine jede solche Meldung als persönlichen Schrecken erfahren hatte. Alle diese Drohungen und Täuschungen, Verwirrspiele und Hinterhältigkeiten, die sie nun zu durchschauen glaubte und nicht mehr so leicht an sich heranließ, die aber doch damit enden konnten, daß jemand auf den elektrischen Stuhl oder in ein Lager kam oder daß, in diesem Fall, eine Frau mit einer Kugel im Genick in die Wüste geworfen wurde. Du hast recht, Luisa, sagte sie. Man muß Angst um sie haben.
    Die griechische Musik hatte den ganzen Abend über nicht aufgehört, Luisa begann in der Küche zu tanzen, die Arme seitlich erhoben, mit den Fingern schnipsend, den Kopf leicht geneigt, als erspüre sie während des Tanzes die Figuren, die sie von alters her zu kennenschien, sie wußte die Füße zu setzen, anmutig bewegte sie die Hände, wie es sich gehörte, der Rhythmus lag ihr im Blut. Sie winkte Antonis heran, ließ ihn sich um sie drehen, er suchte ihren Blick, fand ihn, suchte ein Versprechen, fand es nicht. Richtig! rief die Großmutter und klatschte im Rhythmus, Antonis zog sie in den Kreis, auf einmal hatte sie ihr schwarzes Kopftuch um, den einen Zipfel kokett im Mund, auf einmal war um sie der Dorfplatz, auf dem Antonis’ Großvater um sie warb, ein junger Mann, da gab es, von Generation zu Generation, nur diesen Tanz. Wie schmal ihre Fußgelenke waren, wie geschmeidig und zäh ihr Körper unter den vielen Röcken. Man traute ihr die Monate bei den Partisanen in den Bergen zu, die lange, zermürbende Flucht zur albanischen Grenze hin, mit Antonis, der fast noch ein Kind war. Wie in einem Zeitraffer sahen wir ihr junges, straffes Mädchengesicht zu dem kleinen pergamentenen Altersgesicht schrumpfen und fragten uns, wie sie die klaren jungen Augen hatte behalten können, deren Blick stolz geblieben war, nichts zurückgenommen, nichts aufgegeben hatte. Augen, die nur noch die Sehnsucht kannten, ein bestimmtes Haus in einem bestimmten Dorf noch einmal zu erblicken und sich dort für immer zu schließen.
    Luisas Blick traf Ellens Augen, sie hatten beide an das gleiche gedacht. Luisas Arme und Hände waren frei von

Weitere Kostenlose Bücher