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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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der Flechte, die allen Tinkturen und Salben, sogar dem heilsamen Meerwasser widerstanden hatte. Vor welcher Berührung mochte Luisa sich durch Ekel haben schützen müssen? Ellen fühlte, wie der Zwang, über alles ein Urteil zu haben, von ihr abfiel. Nicht jeder Widerwillen hinterließ körperliche Zeichen. Ob es vorzuziehenwäre, fragte sie sich, daß die Seele die Unzumutbarkeiten, denen sie ausgesetzt wurde, nur mit sich selber abmachte. Wie viele Dinge es gab, über die sie niemals sprach und nach denen sie nie jemand fragte. Das ficht mich nicht an, dachte sie, in diesen deutlichen Worten. Sie mußte über sich selber lachen.
    Als sie ins Zimmer kamen, hatte der Streit schon begonnen. Auf den Tisch lag eine Zeitschrift, aufgeschlagen bei einem Gedicht, das Ellen und Jan mit Bewunderung gelesen hatten. Antonis sagte, das würde er gerne ins Griechische übersetzen, aber er verstünde es nicht. Was zum Beispiel diese Zeile bedeuten solle: ». . . Geh ich vom Sein des Hundes in das Sein der Katze...« Aber das sei doch ganz klar! rief Luisa von der Tür her. So? sagte Antonis, in dem gereizten Ton, den er annahm, wenn er sich angegriffen glaubte. Wenn ihr alles klar sei, solle sie es ihm doch bitte erklären. Luisa schwieg. Gabriele wollte vermitteln. Auch ihr falle es schwer, Gedichte zu lesen. Geschichten – das ja. Allerdings nur, wenn sie Hand und Fuß hätten. Nicos dagegen – der lese ja überhaupt bloß seine griechische Zeitung, noch abends in Bett. Ellen, die es immer vermied, mit Nichtliteraten über Literatur zu streiten, aus einer Art von schwer erklärbarem Schamgefühl, Ellen meinte, sie verstehe schon, daß Nicos abends müde sei; daß er sowieso wenig Zeit habe zu lesen, und dann noch komplizierte deutsche Texte. Und warum müsse denn jeder Mensch Bücher lesen. Vielleicht würde Nicos auch dann nicht lesen, sagte sie, ohne Vorwurf, sogar ohne Bedauern, wenn er mehr Zeit hätte und Deutsch seine Muttersprache wäre. Ihr Beschwichtigungsversuch wurde nicht angenommen. Jawohl! riefNicos, der viel getrunken hatte und rot im Gesicht war: Das sei vollkommen richtig. Er sehe nicht ein, wozu er lesen müsse, daß jemand sich von einem Hund in eine Katze verwandelt!
    Vom Sein des Hundes, rief Jan aufgebracht. Ob er nicht wenigstens sachlich bleiben könne!
    Aber bitte sehr! schrie Nicos zurück. Ich möchte bloß wissen, was an diesen Haustieren sachlich sein soll!
    Da war es wieder. Ellen erkannte den Ton, auf den Jan ansprang, ohne Ansehen der Person. Sie setzte unter dem Tisch ihren Fuß auf seinen Fuß. Sei still. Gabriele, die einzige, die sich nicht erregte, sagte, der normale Mensch habe nun mal andere Sorgen als ein Dichter, das sei schon immer so gewesen.
    Was er denn gerade für Sorgen habe, fragte Ellen Nicos.
    Ich? schrie der. Ach, Kleinigkeit! Ich muß bloß herausfinden, warum bei unseren letzten Schiffen die Vibration zugenommen hat, falls dich das interessiert. Und dann muß ich die Vibration eben beseitigen. Und das so billig wie möglich.
    Klar, sagte Jan. Das sei ja sein Beruf. Und wenn er es geschafft habe, könne er einen Artikel für die Werftzeitung schreiben. Kein Mensch erwarte, daß er sich über Hunde und Katzen äußern solle.
    Eure verdammte Überheblichkeit! rief Nicos. Ihr habt ja keine Ahnung von Leben.
    Da hat er recht und unrecht, dachte Ellen, ihr Gespräch kam dem Bezirk in ihr nahe, der immer noch schmerzte und für eine Weile nicht berührt werden sollte; einen verwundeten Soldaten, hatte ihr jemand gesagt, schicke man doch auch nicht wieder in dieSchlacht. Keine Ahnung vom Leben, mag sein. Oder zuviel Ahnung von einer Art Leben, von der die unzähligen normalen Leben abgedrängt worden waren und auf die die Gedichte weiter Kurs halten mußten, ungeachtet des Irrsinns, von dem die Person sich bedroht sieht, deren verschiedene Bestandteile auf unterschiedliche Ziele hin auseinandergerissen werden. Und wenn sie hier saß, verkrochen in diese Bauernstube, weil sie den Preis nicht zahlen wollte, nicht für die eine, aber auch nicht ganz und gar für die andere Richtung? Es würde sich wohl zeigen. Wenn nur die Beunruhigung blieb.
    Jedenfalls hütete sie sich, Nicos spüren zu lassen, daß sie seinen Alltag nicht für »Leben« halten konnte und daß sie seinem gereizten Ton anmerkte: auch er selbst hielt ihn nicht dafür. Seine Anklage traf sie, als sei sie schuld an der Existenzweise, mit der er sich nicht abfinden konnte. Ihr war, als sei dieser Abend nur ein

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