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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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am Griff des
Fensters, es klemmt. Nur ein Strommast steht zwischen unseren Häusern, auf ihm
sitzen Möwen, ihre Konturen wie ein Scherenschnitt.
    Ich gehe zurück in den Flur. Zwei Türen nebeneinander, die rechte
Tür ist abgeschlossen, die linke nur angelehnt, ich drücke sie auf, zwei Wände
glatter Putz, als sei der Fliesenleger mitten in der Arbeit überrascht worden
und habe das Haus verlassen müssen. Eine Zahnbürste in einem Becher.
    Langsam erinnere ich mich. Ich erinnere mich an das
provisorische Bad mit den zwei ungefliesten Wänden, ich erinnere mich an den
Sommer, in dem wir hier waren. Meine Mutter und mein Vater waren nie mit mir im
Urlaub, nur einmal sind wir in den Ferien weggefahren.
    Mein Vater steht im Wohnzimmer und sagt, er habe eine Überraschung
für uns, und ich freue mich, schon lange hat es keine Überraschung mehr
gegeben. Mein Vater, der sagt: »Wir machen Urlaub«, er habe etwas Schönes
gefunden, der meine Mutter ansieht und sagt: »Es wird euch ganz bestimmt
gefallen.« Meine Mutter, die sagt: »Endlich mal wieder wegfahren«, die lächelt
und sich die Haare hinters Ohr streicht, und ich, die an nichts anderes mehr
denken kann. Morgens reiße ich in der Küche das Kalenderblatt ab und rechne
laut vor, wie viele Tage es noch sind. Lena und den anderen in der Schule
erzähle ich, dass wir wegfahren, in die Sonne und ans Meer. In den letzten
Klassenarbeiten schreibe ich Einsen.
    Ich erinnere mich an meine Mutter, die die ganze Fahrt
über sagt, sie sei so gespannt, und mein Vater, der immer wieder lächelt und
mir über den Rückspiegel zuzwinkert. Am Fenster ziehen Landschaften und
schnellere Autos vorbei. Meine Eltern wechseln sich hinter dem Lenkrad ab, wir
tragen dünne, helle Leinenkleider. Im Kofferraum liegen die großen
Ledertaschen, im Kulturbeutel meines Vaters die neuen Tabletten, sie verstecken
sie nicht vor mir. Morgens und abends nimmt mein Vater eine, spült mit einem
Glas Wasser nach, verschließt die Papierschachtel und legt sie auf das oberste
Regalbrett im Bad. Meine Eltern drehen das Autoradio auf, das machen sie sonst
nie. Sie legen die Kassette von Simon & Garfunkel ein, sie summen die
Lieder mit, manchmal lässt meine Mutter ihren Fuß aus dem offenen Fenster
hängen und mein Vater legt seine Hand auf ihr linkes Knie. Kein einziges Mal
frage ich, ob wir bald da sind.
    Mein Vater lenkt das Auto von der Landstraße in ein Dorf,
er muss nicht auf die Straßenkarte schauen. In einer Haltebucht parkt er. »Wir
kommen gleich an«, sagt meine Mutter, »aufwachen, Juno«, dabei schlafe ich gar
nicht. Wir steigen aus. Zwischen dem Abgrund und uns steht nur eine kniehohe
Absperrung. Wir sehen zum ersten Mal das Meer. Dunkelblaue Wellen schlagen
gegen die Küste.
    Wir sind da. Meine Mutter öffnet die Tür zum Bad, sieht
die grau verputzten Wände, den Boden ohne Belag. »Fahr uns hier wieder weg«,
meine Mutter lässt meine Hand los. Das sei nichts für ein Kind, er solle uns
wegbringen. Es ist kalt in diesem Haus, es gibt keinen Stuhl, kein Sofa,
nirgends kann man sich hinsetzen. Mein Vater sagt nichts, er schließt einfach
die Tür hinter uns ab und fährt uns zu einem Hotel. Wir bekommen das letzte
freie Zimmer neben der Waschküche. Es ist laut in diesen Ferien, aber wir haben
ein Bett, einen Tisch, Stühle, wir haben ein ordentliches Bad. Und wir haben
das Meer.
    Wir liegen den ganzen Tag am Strand. Die Sonnenbrille hinterlässt um
meine Augen einen hellen Abdruck, meine Mutter versteckt ihren Dutt unter einem
Sonnenhut. Manchmal liege ich bei ihr im Arm und wir dösen. Wenn wir aufwachen,
ist mein Vater nicht mehr da. Wir bauen eine Sandburg, legen Fenster und
Verzierungen aus Muscheln und Algen. Als die Burg fertig ist, steht mein Vater
mit suchenden Augen auf der Promenade hinter uns. Als er uns entdeckt, kommt er
zu uns. Er versteckt etwas hinter seinem Rücken, eine Flasche Limonade oder ein
Eis oder eine Zeitschrift. »Wo warst du?«, fragt meine Mutter. Er sei spazieren
gewesen, antwortet er, weiter nichts. Dann gibt er mir das Eis oder die
Limonade und meiner Mutter die Zeitschrift.
    Bei Flut wirft er sein T-Shirt neben die Burg in den Sand und läuft
zum Wasser. Für einen richtigen Kopfsprung ist es zu flach. Mein Vater geht ein
paar Schritte und wirft sich vorwärts, krault an den Bojen vorbei hinaus aufs
Meer.
    Â 
    Abends gehen wir

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