Sommertochter
wird so stark sein, dass Julie
Gänsehaut bekommen wird.
Im Rückspiegel sehe ich Julie vor dem Haus. Es erinnert
nur noch wenig an das Haus auf dem Polaroid, das ich vor drei Wochen in einem
muschelweiÃen Umschlag in meinem Briefkasten fand, als der Sommer so heià war,
dass nichts anderes half, als sich in eine Badewanne mit kaltem Wasser zu legen
und unterzutauchen.
MEINE ERSTE EIGENE WOHNUNG liegt auf dem Weg von der Wohnung meiner Mutter zu unserem alten Haus, in einer
StraÃe, in der nur Altbauten stehen. Direkt unter meiner Wohnung ist die
Bäckerei, in der ich früher immer Brötchen für meine Eltern gekauft habe.
Mitten in der Nacht, im Halbschlaf, höre ich, wie die Verkäuferinnen die Stühle
an die kleinen runden Tische rücken. Erst Stunden später klingelt mein Wecker
und ich kaufe mir ein Brot. Die Verkäuferinnen wedeln mit Papptellern die
Wespen weg, die unter der Vitrine auf dem süÃen Plundergebäck sitzen.
Â
Wenn ich nicht arbeiten muss, sitze ich in meiner Küche.
Manchmal stehe ich auf und drehe die Blumen auf der Fensterbank um
hundertachtzig Grad. Ich will, dass sie gerade wachsen. Jeden Tag recken sie
ihre Köpfe wieder schräg zum Fenster und zur Sonne, als würden sie an einem
Faden gezogen werden.
Später am Tag gehe ich durch meine StraÃe, die wie ein kleines Dorf
scheint. Immer wieder begegnen mir die gleichen Leute, immer wieder stehen im
Gemüseladen die gleichen Personen vor und hinter der Kasse. Es gibt eine Post,
eine Ãnderungsschneiderei, eine Bankfiliale, einen Italiener und eine
Reinigung, fast alle Geschäfte sehen aus, wie aus einer vergangenen Zeit, als
habe sich in den letzten zwanzig Jahren hier nichts verändert.
DIE SONNE STEHT HOCH über
dem Feld. Die flirrende Hitze hat fast alle Insekten vertrieben. Nur ein paar
Grashüpfer kleben an den Ãhren, ein Maikäfer fliegt surrend und unkoordiniert
seine Schlaufen. Ich habe das Fahrrad in den Weizen gelehnt, blicke in die
Richtung unseres alten Hauses.
IN GUMMISTIEFELN UND STRICKJACKEN stehen wir im Handwerkerladen von Coulard. Es ist Frühling. Julie und ich
lassen uns Farben mischen. Abwechselnd tragen wir dem Verkäufer unsere Wünsche
vor, fragen nach Deckkraft, Strahlkraft und verschiedenen Nuancen. Wir kaufen
Rollen und Pinsel in verschiedenen GröÃen, kaufen Tapeten und Kleister. Der
Verkäufer hilft uns, die Sachen in den Kofferraum zu laden, und leiht uns eine
Leiter.
Wir halten an einem Blumenladen. Wir kaufen die gröÃten Hortensien,
wir kaufen die, deren Blüten am ausladendsten sind, wir kaufen sie in Blau,
Weià und Rosa.
Julie taucht die Rolle tief in die Farbe ein und lässt
Strich um Strich das dreckige Weià des Hauses unter einer frischen weiÃen
Schicht verschwinden. Julie trägt ein altes kariertes Hemd, das wir im Haus
gefunden haben. Ihr dickes, hellbraunes Haar ist weit oben am Kopf zu einem
Pferdeschwanz gebunden. Manchmal legt sie die groÃe Rolle beiseite und tauscht
sie gegen einen Zug an ihrer Zigarette. Sie raucht genauso wie Camille, nicht
hastig und ihre Lippen sind nicht streng gespitzt, sie hat die Augen beim
Einatmen geschlossen.
Camille hat im Winter das Bad für uns renovieren lassen. Handwerker
haben Fliesen verlegt und alles verfugt, die neuen Fliesen sind gröÃer als die
alten.
Ich sitze im Garten und grabe Löcher in die Erde, setze die Pflanzen
ein. Unter meinen Fingernägeln sammelt sich der Dreck. Rund ums Haus pflanze
ich die Hortensien. In einem stillen Einverständnis arbeiten Julie und ich nebeneinander,
ohne zu reden, ohne das Transistorradio laut drehen zu müssen.
Wir warten auf Jan. Bald wird er mit seinem Transporter
vor dem Haus halten. Vielleicht wird Jan sagen, dass er kein Innenarchitekt sei
und nur Häuser und Brücken entwerfe, keine Möbel. Aber wenn er uns an unserem
Haus arbeiten sieht und bei sich nur Pappe, Holz und Klebstoff, wird er es sich
vielleicht anders überlegen. Wir werden ihm zur Inspiration Fotografien von
Betten, Schränken und Tischen an sein Flipchart kleben. Wir werden in seinen
Transporter steigen und erst das richtige Werkzeug, dann das passende Holz
besorgen. Wir werden in unseren Gärten sägen, hämmern und schrauben, Späne
werden das Gras bedecken, mit den Resten machen wir ein Feuer.
Vielleicht werden wir das Haus eines Tages an Touristen
vermieten, an Einheimische verkaufen oder eine Eisdiele
Weitere Kostenlose Bücher