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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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»Dieses Haus ist auch dein Erbe.« Ich
habe mich bedankt, meine Tasche genommen und Anna auf die Wange geküsst. Als
ich ging, stand sie in der Küchentür und blickte mir nach.
    Mit großen Schritten messe ich das Zimmer aus, es sind
fünfzehneinhalb von der Treppe zur Wand. Blumentöpfe in verschiedenen Größen
sind überall im Raum verteilt, die Erde darin trocken, einsame gelbliche
Stängel, verdorrte Blätter. Ich denke an früher, an die Wochen, in denen die Blumen
in unserem Haus vertrockneten, weil sie niemand mehr goss. Irgendwann nahm
Mutter einen großen, blauen Sack, warf die Blumen hinein und wir zogen aus.
    Ich lasse mich auf eine Matratze fallen, greife zu einem der Bücher,
die auf dem Boden aufgereiht sind, Wollmäuse wirbeln wie kleine Tornados auf.
Im Buch steht weder Widmung, Name noch Datum.
    Im Mund der Geschmack wie eine Hand voll Mehl. Durch die
Dachfenster fällt kein Licht mehr, es ist dunkel geworden. Ich zähle rückwärts
von fünf auf eins, stehe auf und sehe, dass im Haus gegenüber Licht brennt,
aber Nachbarn sehe ich nicht. Irgendwo sehr nah kläfft spitz und fordernd ein
Hund. Ich suche in meinem Jutebeutel nach einer Jacke und nach Strümpfen, ich
glaube, dass ich immer noch alleine bin, oder der Bewohner des Hauses verhält
sich ruhig, weil er einen Eindringling vermutet.
    Tastend schiebe ich mich die Treppe herunter, finde den
Lichtschalter. An einem langen Kabel hängt eine Glühbirne, die einsames Licht
verbreitet, das Transistorradio läuft noch immer, spielt jetzt Klaviersonaten.
Auf dem Herd liegt in einer Pfanne ein halber Fisch in Rosmarin und Öl. In
einem kleinen Topf koche ich Wasser, nehme einen Teebeutel aus der Blechdose.
    Während ich überlege, ob ich warten soll, bis die Bewohner nach
Hause kommen, ob ich sie zur Rede stellen oder ihnen den Brief und den
Schlüsselbund entgegenhalten soll, während ich im Kopf skizziere, wie es sein
würde, ganz still zu sein und mit verschränkten Armen zu warten, bis sie
anfingen zu reden, während ich mir das ausmale, suche ich etwas zu essen, ein
Stück Brot oder Obst. Ich sehe Baguette auf der Anrichte, im Kühlschrank finde
ich ein kleines Einweckglas mit Erdbeermarmelade und etwas Käse. Ich nehme ein
Stück vom Brot, schneide zwei Scheiben Käse ab und esse beides, trinke meinen
Tee, bis ich zusammenzucke, weil die Tür mit einem lauten Ruck aufgeht und ein
Mädchen in der Tür steht, eine Ledertasche auf der Hüfte, ein goldenes
Medaillon über einem roten Kleid.
    ICH FAHRE NACH HAUSE und
lasse mein Fahrrad im Garten liegen. Lena hat heute in der Schule gefragt, ob
wir bei uns am Kirschbaum eine Schaukel aufhängen können. Dass ich erst meine
Mutter fragen müsse, habe ich ihr geantwortet, obwohl ich weiß, dass im
Schuppen eine alte Schaukel liegt, die früher am Kirschbaum befestigt war. Aber
ich will nicht, dass Lena zu uns kommt, ich will nach der Schule lieber zu ihr
nach Hause gehen. Ich will nicht darüber nachdenken müssen, ob mein Vater heute
wieder zu Hause geblieben ist, will nicht die Haustür hektisch aufschließen,
ins Bad rennen und die Tablettenschachteln in einer Schublade oder unter einem
Tuch verstecken.
    Mein Vater ist oft zu Hause in letzter Zeit, meine Mutter ruft
morgens in seinem Büro an und sagt, dass er nicht kommen könne. Meine Mutter
sagt zu meinem Vater, dass er zum Arzt müsse, dass er sich krankschreiben
lassen und eine längere Zeit nicht arbeiten solle, er solle jetzt endlich
kooperieren.
    Ich nehme die Post aus dem Briefkasten vorne am Tor. Ich
lege eine Zeitschrift, einen Brief und eine Postkarte Kante an Kante auf den
Küchentisch. Die Postkarte zeigt einen Hafen mit vielen Segeljachten in der
Sonne, ich schaue sie mir ganz genau an. Ich drehe sie auch um, aber ich kann
die Schrift nicht lesen, sie ist klein und nach rechts gebeugt.
    Aus dem Kühlschrank nehme ich Limonade und gehe ins Wohnzimmer. Mein
Vater ist zu Hause, er sitzt auf dem Sofa und schaut geradeaus. »Hallo«, sage
ich, »hallo Juno«, antwortet er, und dann sagen wir nichts weiter und irgendwie
ist es komisch, hier zu stehen, ich habe das Gefühl, meinen Vater zu stören,
auch wenn ich nicht weiß, wobei, also sage ich nur noch schnell, dass Post für
ihn in der Küche liege, und er nickt. Ich gehe mit der Limonade in der Hand die
Treppe hoch in mein Zimmer und mache

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