Sommerträume in Marbella
„Bitten Sie an der Hotelrezeption darum, einen zu rufen. Und was die Übrigen von Ihnen betrifft … Ich werde nicht vergessen, was hier heute Nacht passiert ist.“
10. KAPITEL
Bedrückt stand Silas neben dem Bett und betrachtete Julia, die immer noch schlief. Die ganze Nacht hatte er in einem Sessel verbracht und bei Julia gewacht, um für sie da zu sein, falls sie aufwachte und ihn brauchte. Jetzt schien die strahlende Morgensonne ins Zimmer, konnte aber seine düsteren Gedanken nicht vertreiben. Julia war zwar in Sicherheit, doch es hätte ohne weiteres auch anders kommen können. Und das wäre einzig und allein seine Schuld gewesen. Anstatt ihren kleinen Streit zu begraben, bevor sie aus dem Haus musste, hatte er sie lieber ein bisschen bestrafen wollen, weil sie Fragen stellte, über die er nicht sprechen wollte.
Seine Schuld. Dumpfe schmerzende Seelenqualen nagten an dem früher einmal unerschütterlichen Glauben an seine Integrität.
Als Julia einen leisen Laut von sich gab, beugte sich Silas augenblicklich über sie. Zu seiner großen Erleichterung hatte der Arzt ihm versichert, dass die Droge keine Spätfolgen haben würde.
Trotzdem hatte er ihn sehr eindringlich gewarnt. „Kurzzeitig wird sie an körperlichen Symptomen wie Übelkeit und Schwindel leiden sowie an Panikattacken, Flashbacks und sogar Paranoia. Außerdem wird sie sich vermutlich äußerst verwundbar und manchmal auch bedroht fühlen. Glücklicherweise können sie ihr immer wieder versichern, dass ihr nichts Schlimmes passiert ist. Wenn charakterlich verdorbene, unmoralische Männer diese Droge gegen Frauen einsetzen, ist es für die Opfer hinterher besonders qualvoll, dass sie sich nicht richtig erinnern können. Sie haben zwar Flashbacks, Traumsequenzen von Ereignissen, doch alles bleibt vage und unwirklich. Eine Frau, die mit Hilfe dieser Droge vergewaltigt worden ist, quält sich selbst fürchterlich wegen der undeutlichen Erinnerungsbruchstücke. Vor einigen Monaten habe ich einen besonders traumatischen und tragischen Fall erlebt. Die junge Frau hat sich umgebracht. Ihre Partnerin hat wirklich großes Glück gehabt.“
Unfähig, seinen dunklen Gedankengang weiter zu verfolgen, machte Silas eine kleine ruckartige Bewegung und setzte sich auf die Bettkante.
Julia öffnete die Augen und sah ihn an. Im ersten Moment lächelte sie, aber gleich danach veränderte sich ihr Gesichtsausdruck.
Voller Mitgefühl sah Silas, wie Angst und Verwirrung sich über ihr Gesicht legten. Instinktiv legte er tröstend die Hand auf ihren Arm, und als Julia furchtsam vor ihm zurückwich, brach ihm fast das Herz.
„Nein, Silas, bitte“, flüsterte sie. „Du darfst mich nicht berühren. Etwas Schreckliches ist passiert.“
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und ihr beschämter Blick schnitt wie ein Messer in seine Brust. „Julia, es ist in Ordnung …“
„Nein, ist es nicht. Du weißt nicht, was geschehen ist.“ Während sie weinte, presste sie die Finger an ihre Schläfen. Sie fühlte sich so schwach und war vollkommen durcheinander. Irgendetwas Entsetzliches war ihr zugestoßen, aber sie konnte sich nicht genau erinnern, was es war. Bilder, Geräusche und Empfindungen kehrten blitzlichtartig zurück. Nick, der sie mit einem grausamen Lächeln ansah. Das laute Gelächter von Männern. Harte Männerhände, die sie anfassten. Und alles begleitet von grauenhaften Panikattacken.
„Julia, es ist in Ordnung.“ Silas konnte kaum sprechen. Vor Wut, Schuldgefühlen und dem Wunsch, Julia zu beschützen und zu trösten, klang seine Stimme ganz rau.
„Nein! Nichts wird jemals wieder in Ordnung sein. Du weißt nicht, was passiert ist. Nick …“
Als sie zitterte, nahm Silas sie in die Arme und drückte sie fest an sich. „Nichts ist passiert“, beruhigte er sie heiser.
„Doch. Aber ich erinnere mich nicht daran, ich weiß nur noch, dass Nick mich gedrängt hat, Champagner zu trinken. Und dann … Ich kann mich nicht erinnern, was dann passiert ist, aber es war etwas ganz Schreckliches. Ich habe Angst … Du musst dich von mir scheiden lassen, Silas.“
„Was?“
„Ich habe davon gehört … von Frauen, die unter Drogen gesetzt werden und … die Männer behaupten, man wäre willig gewesen … Nick hasst mich, und wenn er … wenn sie …“ Weinend senkte Julia den Kopf. „Wenn ich ein Kind erwarten sollte, könnte ich es wahrscheinlich nicht …“
„Julia, du darfst dich nicht so quälen. Es ist nicht nötig. Nichts ist
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