Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
herausgenommenen, also«gestohlenen»Bilder: zwei von der Wohnung ihrer Großmutter, wie schön es darin war, und zwei von dem liederlichen Onkel, einmal mit Hure auf den Schultern und einmal mit Hure auf dem Sofa. Im Grunde waren diese vier Dias thematisch. Der Sohn, der das Erbe seiner Eltern durchgebracht hat. Erst das Grundstück verkauft («die alten Bäume fällen lassen...»), dann die Möbel («damals wahrscheinlich für einen Pappenstiel»). Das eine der Mädchen nahm er zu sich, die holte ihren Galan nach und legte ihrem Gastgeber nahe, ins obere Stockwerk zu ziehen. («Sie hat ihn regelrecht verdrängt. »)
Ich tröstete sie mit dem dunklen Punkt in jeder Familie und erzählte von Tante Silbi.
Versuch, Spargel zu kaufen. Erst den Hof nicht gefunden. Dann die Bauersfrau weggehen sehen, wie Bauersleute eben gehen. Dann das Schild:
Mo 8-10
Die 15-16
usw.
Also kann ich keinen Spargel nach Rostock mitnehmen, wofür ich wahrscheinlich hart verhört werden werde.
«Echolot I», 1.-15. Januar des zweiten Durchgangs abgeschickt. Das habe ich erst mal vom Hals.
Aus Marbach kamen gute Sachen. Habe sofort darin gelesen. Gott, ist das lange her, Vater und Mutter sind auch darin, in der Diktion mancher Briefe.
Briefe von Margarete Hauptmann und Karola Bloch.
Kirsten sagte, sie räumt die Küche deshalb so gut auf, weil das eine fremde Küche ist, die sie noch nicht kennt.
Kann sich nicht daran gewöhnen,«Lärm»zu machen, wenn sie in meine Nähe kommt, was sie eigentlich soll, damit ich mich nicht erschrecke. Die Menschen schleichen um mich herum, und ich fahre dann zusammen.
Auf der Fahrt nach Oldenburg. Ein elegantes schwarzes Auto stand dampfend quer, offenbar gerade passiert, noch kein Stau, aber kein Mensch im Auto. Gegenfahrbahn.
Gespräch im Gasthaus mitgeschrieben. Zwei Frauen:
«Drei Zimmer, große Wohnung, großes Zimmer! Mit ihrem Rollstuhl muß sie ja auch eine große Wohnung haben. Und ganz oben ein winziges Zimmer, das haben sie dem Vater gegeben... ‹Mein Vater war Senator...› Dabei war er Dreher! – Es war schon ein armes Würstchen, daß sie damit angeben mußte... Sie war nicht in der Lage, irgendetwas alleine zu machen. Die ist immer mit dem Taxi zur Uni gefahren. Dann haben sie ihr das Bafög gestrichen. Das ist nichts, wenn die Menschen nicht für sich selber sorgen können. Wenn ich mal mit ihr unterwegs war … sie hat nie was organisiert. Sie stand da, und ich mußte denn losziehen. Nichts hat sie.»
«Konnte die Frau überhaupt keinen Schritt laufen?»
«Nein, keinen Schritt.»
«Ich geh’ noch mal auf Tolette.»
Die schöne Schwiegertochter des Wirts.
Drei Bundeswehrsoldaten, Feldwebel. Einer mit wüstem Gesicht. Der grüßt mich, die anderen beiden nicht. Hosen mit Taschen an den Seiten. Weiterentwickelte Zimmermannstaschen, wo die ihren Zollstock stecken hatten.
Ein Gast wird zurückgeholt, er hat seine Zigaretten nicht bezahlt.«Aber schmöken hast du nicht vergessen?»Wirt schimpft scherzend, die Sache ist nicht ernst, aber gesagt wird’s doch.
Ein Vertreter (?) mir gegenüber löst ein Kreuzworträtsel. Er befeuchtet den Zeigefinger beim Umblättern der Zeitung. Blauer Schlips mit Schlipshalter.
Ich habe das letzte Kreuzworträtsel gelöst, als ich Scharlach hatte, 1939/40, es stand in der Zeitschrift«Hänsel und Grethel». Ganz leichte Fragen natürlich. – In Schwerin im Gefängnis habe ich dann magische Quadrate fabriziert. Seitdem habe ich was gegen Rätsel.
2007: Neuerdings nährt sich das Fernsehen von Rätseln aller Art -«Wie hoch ist der Chimborazo?»-, so ein junger Mann moderiert das, ein Star, Jauch heißt er, glaube ich. Wer die Hauptstadt von Bulgarien zu nennen weiß, kriegt sofort 20 000 Euro. – Ob die Bulgaren auch wissen, wo Nartum liegt? Buselmeiers schönes Tagebuch.
Rostock Di 4. Juni 1991
Ab nach Rostock. Mit Taxi nach Hamburg, 150,-, dann der neue InterCity. Eigentlich hatte ich schon abgesagt, weil es kalt war und regnete. Als ich heute früh aufwachte, war trotz Wetterbericht schönster Sonnenschein. Also hektisch telefoniert. Und nun sitze ich im Taxi, und der Fahrer fragt:«Wird das Wetter halten? – Zu kalt für diese Jahreszeit.»
Gestern in Oldenburg war es mal sehr nett, zur Abwechslung. Zwei Referatsgruppen hatten ihre Aufgabe ausgezeichnet vorbereitet und trugen es lachend vor.
«Solange man es zügig durchgeht, ist das kein Problem.»
An sich ist der Zeitpunkt für eine
Weitere Kostenlose Bücher