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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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zu kommen. Man müßte hinfahren.
     
    Es hat sich herausgestellt, daß Paule und Lieschen das Huhn gejagt haben. Hildegard hat das vom Nachbarn erfahren. Während sie mit ihm sprach, hätten die Hunde zugehört und sicher auch verstanden, worum es sich dreht.
     
    Osnabrück
    Zur Verleihung des Remarque-Preises an Kopelew.
    Das übliche Taxifahrer-Geblödel.«Zum Alten Rathaus», sage ich zu ihm. Das kennt er nicht. Warum steigt man nicht sofort aus? Weil er einen dann stehenläßt, und man weiß nicht, wo man ist.
     
    In der FAZ ein H. Krüger mit dem neuen Ausdruck«Posttotalitarismus». Als ob es Totalitarismus nicht mehr gibt und nie mehr geben wird. DDR und Drittes Reich könne man nicht vergleichen, weil es dies und das nicht gegeben habe. Daß Totalitarismus latent vorhanden ist und immer auf Gelegenheit wartet, bei der er sich manifestiert? Daß er mit Tötungsmaschinen noch nicht zum Ausbruch kam, ist noch kein Gegenbeweis. – Es habe in der DDR keine KZ gegeben, meint er.
     
    Genosse Peter Schütt in der FAZ über die Gründungsfeierlichkeiten der Äthiopischen Volksdemokratie. Anstatt sich«zu schämen», meldet er sich nun zu Wort, reiht sich in die Zeitungen ein, die eigentlich alle nur dokumentieren, daß sie versagt haben.
    Jo Jastram hat das Marx-Denkmal für Addis Abeba fabriziert. Er habe der Physiognomie negroide Züge verliehen. Nennt sich«Jo», das macht ihn nicht unkenntlich. Neuerdings beschäftigt er sich statt mit Sozialismus mit mecklenburgischer Heimatgeschichte. In der St.-Georg-Schule saß er neben mir auf der Bank. HJ-Führer war er, sparte die Flakhelferei dadurch. Jetzt arbeitet er für die Kirche. – Möchte ihn wohl gerne mal wiedersehen. Die Wandlungen, die ein solcher Mensch durchmachen muß.
     
    «Nach dem Krieg beginnt E. M. Remarque mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus...»(aus der Preisbroschüre). Streichquartett. Ich sitze genau davor, der Bratschist hat ein Siegel an der Strickkrawatte hängen.
    Die schlecht gekleideten Fotografen als Rotte im Hintergrund.
     
    2007: Im Internet -«Wikipedia»- lese ich zu Remarque, daß es …
    «… ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass er in seinem Fortsetzungsroman ‹Im Westen nichts Neues› (1928) die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges verarbeitete. In Wahrheit erlebte er den Krieg nur am Rande mit, wurde früh verwundet und baute den Roman hauptsächlich auf Erzählungen verwundeter Soldaten im Lazarett auf. Die Version, dass er sich den Roman buchstäblich ‹vom Leib geschrieben› hätte, wurde nur zu Werbezwecken erfunden. Er schrieb den Roman 1928 für die ‹Vossische Zeitung›, der ihn bald nach dem Erscheinen als Buchausgabe 1929 und in der Hollywood-Verfilmung durch Lewis Milestone weltweit bekannt machte.»
     
    Später ging er nach Amerika und war zeitweilig mit der Dietrich liiert. 1958 heiratete er dann Paulette Goddard, die wiederum mal mit Charlie Chaplin verheiratet war.
     
    Kopelew saß in der ersten Reihe, wie es einem Friedenspreisträger gebührt: Mehr Bart als weise?
    Der Flötist mir gegenüber hatte russische Noten auf dem Pult. Das hat wohl nichts zu tun damit, daß K. heute den Preis kriegt.
    Noitzen während der Preisrede:
     
    Irgendwie scheine ich, obwohl mit Bedenken, in den deutschen Olymp aufgenommen worden zu sein.
    Auch die Stasi gehört zur deutschen Geschichte. Es finden sich bei dieser Organisation Strukturen, die auch die Arbeit des RSHA bestimmten.
    Schwarzenau nennt Ravensbrück ein Vernichtungslager.
    Vielleicht sind große Gedanken, originelle Gedanken immer banal, wenn man sie gehabt hat.
    Man hat es nicht gern, daß einem die Zeit lang wird. Anstatt sich darüber zu freuen.
    Verdrängung? Nichts wurde verdrängt. Ganze Güterzüge voll Literatur gibt es über die«1000 Jahre». Und wenn es auch nicht alle wußten, ahnten doch viele. Und nach dem Krieg hatte mancher«was anderes zu tun».
    Isa Vermehren
    Buber-Neumann
    Eugen Kogon
    M/B: Wind fährt in Papierschnitzel,
    Zeitungen: Schluß.
    Stutthof geschlossen.
     
    Rassenhaß und Nationalismus entstanden erst, als die Menschen zu reisen begannen.
     
    Der handgeschnitzte Friedenssaal in Osnabrück mit Plastikstühlen vollgestellt.
     
    Bei Tisch.
    Gebeizte Lachsrose mit Crème fraîche
    Forellenkaviar, kleine Reibekuchen
    Legiertes Kerbelsüppchen mit Noilly-Prat
    Couvertbrötchen und Butter
     
    Spargel, Sauce Hollandaise
    Kalbsmedaillon, neue Kartoffeln
     
    Erdbeerkrapfen mit hausgemachtem
    Vanilleeis, Grand-Marnier

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