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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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kleine Reise sehr günstig. Noch keine Ferien, ¼«Echolot»abgeschickt. Aber ich würde lieber in den Harz fahren oder nach Potsdam.
     
    T: Von Italien, ein Taxifahrer, der wie der Duce aussah. Ich dachte: Wenn so die alten Römer ausgesehen haben, dann ist es doch klar, daß sie die halbe Alte Welt beherrschten.
     
    Oldenburg will mich feierlich verabschieden. Im Amtszimmer des Präsidenten, mit Händedruck.’n bißchen schäbig. Aber still, sie haben mich zehn Jahre ertragen. Man stelle sich vor, ich hätte in dieser Zeit Tag für Tag unterrichten müssen! Nach der Vorlesung scharen sich junge Menschen um mich und wollen mit mir klönen. – Ich werde das Jungvolk vielleicht doch entbehren.
     
    Glanzfoto-Bücher über die DDR, fromme Lügen.
     
    In Bremen wurde mir ein Hotel gezeigt, das jetzt mit Kurden belegt. 40 000 zahle der Senat pro Monat dafür. Jede Woche komme die Polizei, weil dies der Drogenmittelpunkt sei. Das heißt sich eine Laus in den Pelz setzen.
    Das Schaf ist geschoren worden. Eine ganze Stunde haben sie dazu gebraucht. In Australien machen sie das in fünf Minuten.
     
    Das Hoffen fährt auf der Autobahn mit. Es fährt in die gleiche Richtung.
     
    Früh, wann die Hähne krähn …
    Arbeit ist das beste Mittel gegen Kummer jeder Art.
     
    Arbeite«Schöne Aussicht»jetzt durch. Allerhand Ungereimtes. Aber die Zeit ist für die Nachwelt zu retten.
     
    Der Grenzstreifen ist noch da. Vorm Zaun stehen die Pfähle. Ab Schönberg fährt der Zug eingleisig.
    Das Hämmern der Räder.
    Ein Mann kniet im Rapsfeld und fotografiert den IC-Zug, der ja erst seit vier Tagen fährt.
    In HH sah ich den ICE. Weiß wie Sahneeis. Der Beamte sagt, daß die Strecke bis Stralsund eingleisig ist. Der alte Bahndamm sei nur noch stückweise erhalten.
    Schafe, die sich unter einen Busch drücken.
     
    Mecklenburg: Von der allgemeinen Verwahrlosung abgesehen ist dies hier das Paradies.
    Speisewagen. Ein Kellner mit Denkerstirn. Er spricht tschechisch oder polnisch mit der Kellnerin, die sich an einen Tisch gesetzt und die Schuhe ausgezogen hat.
    Ratternd und schlotternd.
     
    «Ich hätt’ so gerne an dich geglaubt, doch meine Mutter hat es leider nicht erlaubt …»- Ohrwurm seit drei Tagen, aus einem alten Heinz-Rühmann-Film.
     
    Bad Kleinen, wir stehen lange auf dem Bahnhof. Ein Trupp groblippiger und -nasiger junger Reichsbahnproleten guckt den Zug an. Besonders das Fahrgestell interessiert sie. Speisewagen.
    Eine dicke Aufsichtsbeamtin mit verquollenen Augen, strähniges Haar. Sie geht am Zug auf und ab.
    Sie staunen hier über den IC wie wir in HH über den ICE nicht.
     
    Jetzt fahren wir. Eine dicke Frau in hellblauem Hauskittel zeigt auf unseren Zug, auf den Speisewagen, lachend-staunend.
    In Schweden ungeheure Mückenplage, weil sämtliche Insektengifte verboten, auch Salben, weil sie psychische Störungen hervorrufen können.
    Getreidemeere, Rapsteppiche.
    Aus dem Speisewagen geflohen, weil angeglotzt. Parklandschaft.
     
    In HH auf dem Bahnhof, neu eröffneter Delikatessenladen. Dort ungenießbares Hackbrötchen gegessen. Robert würde sagen:«Ein totgeborenes Kind.»Der Umbau des Bahnhofs ist einigermaßen schonend vollzogen worden, obwohl der alte gemütlicher (und übersichtlicher!) war. Nirgends gelbe Abfahrtplakate, das Reisezentrum schwer zu finden. Aber vorm Eingang Drogenhändler jede Menge. Ob die auch Morphium haben?
     
    Die Frauenkirche in Dresden natürlich wieder aufbauen. Was aus sogenannten Mahnmalen wird, läßt sich an der Nikolaikirche in HH studieren. Auf Architekten und Denkmalschützer sollte man nicht hören. Was die schon für Blödsinn befürwortet haben!

unterwegs nach Nartum Do 6. Juni 1991, Sonne
     
    Jahrestag der Pionierorganisation«Sonendan»
der KDVR
    Heimfahrt nach Nartum.
    Gestern machten wir eine lange Erkundungstour durch Mecklenburg und Vorpommern. Höhepunkt war die Ruine von Dargun, Schloß und Kirche. Ziegen und Schafe hopsten in der Ruine umher.
    Menschenleere Baum-Dom-Straßen, kaum Autos. – Greifswald, eine Buddelstadt, allerhand Leitungen werden verlegt, Häuser repariert. Auf dem Markt zwei verfallene Giebelhäuser wieder«hochgezogen». Der Unterschied zwischen Mecklenburg und Pommern.
    In Greifswald Löschpapier-Schnitzel gegessen. Ein Mann in hellgrünem Trainingsanzug, seine Frau in Altrosa mit großer Katze auf dem Busen, mit Glassplittern gestickt. Ich sag’:«Die setzen sich bestimmt an unseren Tisch.»Und so war es auch. Gemütliche Thüringer,

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