Somniferus
Ordnung.«
»Und mit meiner Vollmacht?«
»Ebenfalls.«
»Wo liegt dann das Problem?«
»Ja, also – auf dem Sparbuch befindet sich kein Geld
mehr.«
Kein Geld mehr? Ich konnte es einfach nicht glauben. »Aber
ich habe bisher noch keinen Pfennig davon abgehoben! Sehen Sie es
sich doch an!«
Der Filialleiter, der das blaue Sparbuch die ganze Zeit über
in der Hand gehalten hatte, reichte es mir nun herüber. Ich
schlug es hastig auf und musste erkennen, dass es tatsächlich
bis auf den letzten Pfennig leergeräumt worden war. Die
Abbuchung, die der Computer soeben ratternd eingetragen hatte, trug
das heutige Datum.
»Wer hat das gemacht? Hat etwa noch jemand eine Vollmacht
darüber?«, rief ich entrüstet.
Der Filialleiter wand sich vor Peinlichkeit. »Ja, es gibt
noch jemanden mit einer Vollmacht und er war heute Morgen hier und
hat eine Überweisung getätigt.«
»Ohne das Sparbuch vorzulegen?«
»In diesem besonderen Fall war das möglich.«
»Wer war es?«
»Das darf ich Ihnen leider nicht sagen.«
»Verdammt noch mal, was soll diese Heimlichtuerei!«,
schrie ich aufgebracht. Am liebsten hätte ich aus diesem
staubigen Mann alles herausgeprügelt. Er zuckte nur mit den
Schultern und schaute betreten drein.
»Also ist nichts mehr zu machen?«, fragte ich in
scharfem Ton.
»Ich fürchte, nein.«
Wutentbrannt und ohne einen Gruß verließ ich den
Schalterraum. Draußen auf der Kurfürstenstraße holte
ich erst einmal tief Luft. Wie gewonnen, so zerronnen. Und das sollte
nun alles gewesen sein? Nein, so leicht ließ ich mich nicht
fertig machen. Wer konnte der zweite Vollmachtinhaber sein?
Vielleicht der Notar? Hatte er genaue Anweisungen von meinem toten
Onkel erhalten? Das würde erklären, warum er bei unserem
Gespräch so befangen gewirkt hatte. Ich musste ihn aufsuchen.
Sofort. Also lief ich zur Haltestelle an der Dauner Straße.
Leider fuhr der nächste Bus erst in knapp einer Stunde. Ich ging
nicht wieder in mein Haus (wirklich mein Haus?) zurück, sondern
schlenderte durch das Neubaugebiet des Ortes an der
Friedrichstraße, aber ich hatte kaum einen Blick für die
großen, teuren Häuser, die hier inmitten
parkähnlicher Grundstücke standen. Die Sonne hatte sich
hinter dunklen Wolken versteckt. Ich hoffte, dass es nicht regnen
würde, denn ich hatte keinen Schirm dabei.
Wo war mein Geld? Harder musste es wissen. Harder musste es mir
zurückgeben. Ich hatte einen Anspruch darauf.
Hatte ich den?
Was verbarg sich hinter dieser aberwitzigen Situation? Es war zum
Verrücktwerden. Da war ich wie durch ein Wunder dem traurigen
Los des erfolglosen Schriftstellers entgangen, nur um kurze Zeit
später in ein noch tieferes Loch gestoßen zu werden.
Ich hatte das Ende der Friedrichstraße erreicht; Bäume
erhoben sich wie eine grüne Mauer vor mir; ein Holzschild zeigte
die Richtung an: Zum Lieserpfad nach Daun. In den Wäldern
verschwinden, für immer, keinen Menschen mehr sehen, keine
Enttäuschungen mehr ertragen müssen – ein Traum, der
genauso irrsinnig war wie der geplatzte Traum, in Manderscheid von
ererbtem Geld leben zu können. Ich ging in den Wald.
Bald führte der Weg steil bergab und stieß nach einigen
Minuten auf den schmalen, sich am Hang entlangschlängelnden
Lieserpfad. Ich folgte ihm ein Stück, dann kehrte ich um. Ich
wollte auf keinen Fall den Bus verpassen. Auf dem Rückweg begann
es zu regnen.
Als ich endlich im Bus saß, der fünf Minuten
Verspätung hatte, war ich nass bis auf die Knochen.
Ich stieg wieder an der Dauner Post aus und rannte zu Harders
Kanzlei. Es regnete noch immer. Ich schellte Sturm. Zuerst tat sich
nichts, doch dann wurde die Tür geöffnet. Seine
Sekretärin stand mir gegenüber, gekleidet in einen langen,
eierschalenfarbenen Staubmantel, in der Hand hielt sie einen
grellbunten Regenschirm. Sie sah mich erstaunt an.
»Ich will nur kurz zu Herrn Harder«, stieß ich
aufgeregt hervor. »Es dauert nicht lange.«
»Haben Sie schon einmal auf die Uhr geschaut?«,
erwiderte die Sekretärin und sah mich mit einem mitleidigen
Blick an. »Die Bürozeit ist bereits seit zwei Stunden
vorbei. Herr Harder ist längst zu Hause. Morgen ist Samstag; da
haben wir natürlich geschlossen. Ich muss Sie also bitten, am
Montagmorgen wiederzukommen.«
Sie wollte sich an mir vorbeidrücken und gehen. Das
ließ ich nicht zu. Ich stellte mich ihr in den Weg.
»So viel Zeit habe ich nicht. Es geht um Leben und Tod!«
In gewisser Hinsicht hatte ich sogar Recht. Ich hatte
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